Ein politischer Schwellenwert: Bis 0,9 Prozent ohne Kennzeichnung
In Europa ist bei der Gentechnik-Kennzeichnung ein Schwellenwert von 0,9 Prozent festgelegt. Er markiert die Grenze, unterhalb derer „zufällige, technisch unvermeidbare“ Beimischungen zugelassener GVO ohne Kennzeichnung zu tolerieren sind. Die Höhe des Schwellenwerts ist politisch festgelegt worden.
Die Natur ist ein offenes biologisches System. Gleich, ob konventionell, öko oder mit Gentechnik: Eine völlige gegenseitige Abschottung unterschiedlicher landwirtschaftlicher Produktionssysteme ist kaum möglich.
Zwar können mit geeigneten Maßnahmen Auskreuzungen gentechnisch veränderter Pflanzen auf konventionelle Pflanzen der gleichen Kulturart minimiert werden, mit absoluter Sicherheit auszuschließen sind sie jedoch nicht. Auch während der Ernte, bei Transport, Lagerung und Verarbeitung sind Vermischungen - etwa Staubeinträge - denkbar.
Gentechnisch veränderte Pflanzen werden weltweit auf etwa 190 Millionen Hektar (2019) angebaut - mit Ausnahmen Spaniens und Portugals jedoch nicht in Europa. Aber die EU ist keine Insel, denn es werden große Mengen Agrarrohstoffe und landwirtschaftliche Produkte eingeführt. Es ist davon auszugehen, dass in einigen Fällen Spuren von GVO in konventionelle, „ohne Gentechnik“ erzeugte Produkte gelangen.
Auch in vielen Bioprodukten sind solche GVO-Verunreinigungen nachzuweisen - obwohl dort der Einsatz gentechnisch veränderter Organismen grundsätzlich verboten ist. Das belegen auch die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung in Deutschland.
Würden auch geringfügige GVO-Spuren zu einer Kennzeichnung des betreffenden Produkts führen, hätte das zur Folge, dass zahlreiche Lebensmittel - in bestimmten Segmenten des Sortiments sogar alle - gekennzeichnet werden müssten. Eine Wahlfreiheit bestünde dann nicht mehr.
Schwellenwert: Eine notwendige politische Grenzziehung
Es kann heute weder eine Garantie für absolut „gentechnik-freie“ Produkte eingeräumt werden, noch gibt es ein gesetzliches Anrecht darauf. Mit Hilfe der Kennzeichnung sollen Konsumenten eine „informierte Kaufentscheidung“ treffen können und so zwischen Produkten wählen können, die mit und ohne eine wissentliche Anwendung der Gentechnik erzeugt wurden. Die Grenze zwischen einem gewollten Anbau mit gv-Pflanzen und zufälligen, technisch unvermeidbaren GVO-Beimischungen kann nur politisch gezogen werden.
In der EU wird diese Grenzziehung über den Schwellenwert definiert: Er legt die Höhe von GVO-Beimischungen in Lebens- und Futtermitteln fest, die ohne Kennzeichnung hinzunehmen sind. EU-Parlament und Ministerrat haben sich für einen Schwellenwert von 0,9 Prozent entschieden. Wie alle Mitgliedstaaten stimmte auch die damalige grüne Verbraucherministerin Renate Künast im EU-Agrarministerrat diesem Wert zu.
GVO-Beimischungen in einem Lebens- und Futtermittel sind jedoch nur dann von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen,
- wenn sie nicht mehr als 0,9 Prozent betragen (bezogen auf die jeweilige Zutat);
- wenn der jeweilige Hersteller nachweisen kann, dass er sich aktiv um eine Vermeidung bemüht hat und es sich tatsächlich um zufällige, technisch unvermeidbare GVO-Anteile handelt;
- wenn die jeweiligen, in Spuren vorhandenen gv-Pflanzen in der EU zugelassen sind und damit nachweislich als sicher eingestuft wurden. Kennzeichnungsfreie - und damit für die Konsumenten nicht erkennbare - GVO-Beimischungen müssen gesundheitlich unbedenklich sein.
- Das bedeutet auch: Für gentechnisch veränderte Pflanzen, die (noch) nicht in der EU zugelassen sind, gilt die Nulltoleranz. In Agrarimporten, Lebens- oder Futtermitteln dürfen solche GVO nicht vorhanden sein. Wird ein nicht zugelassener GVO nachgewiesen, sind die betreffenden Lieferungen oder Produkte grundsätzlich nicht verkehrsfähig. (Bei Futtermitteln gilt die technische Nachweisgrenze von 0,1 Prozent als zulässiger Höchstwert.)
Nach den Ergebnissen der amtlichen Lebensmittelüberwachung der Bundesländer liegen die ermittelten GVO-Beimischungen in konventionellen oder Öko-Lebensmitteln weit unterhalb der 0,9-Prozent-Schwelle, in der Regel etwa bei 0,1 Prozent. Betroffen sind vor allem sojahaltige Lebensmittel.
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