Ben & Jerry’s: Gentechnik-Boykott gegen das politisch korrekteste Eis der Welt
Die Geschichte von Ben&Jerry’s klingt wie ein schönes, modernes Märchen: Vor knapp vierzig Jahren hatten Ben Cohen und Jerry Greenfield, zwei Alt-Hippies, die Idee, in einer heruntergekommenen Tankstelle irgendwo in der amerikanischen Provinz „verrückte Eissorten“ zusammenzumischen. Heute ist ihr Eis Kult und in den „entlegensten Winkeln“ der Welt zu haben. Und noch immer steht Ben&Jerry’s für einen linksliberalen, unangepassten Lebensstil, für Umweltbewusstsein, soziale Standards und fairen Handel. Der Kampf gegen die großen Konzerne und die Gentechnik gehört zum Gründungsmythos. Und ausgerechnet dieses durch und durch politisch korrekte Eis ist ins Visier der Anti-Gentechnik-Gruppen geraten. Sie haben zum Boykott von Ben&Jerry’s aufgerufen.
Dabei sind doch Ben&Jerry’s gerade mit einer Boykott-Aktion gegen Monsanto und das erste, damals heiß umstrittene landwirtschaftliche Gentechnik-Produkt groß und berühmt geworden: rBST, das rekombinante Bovine Somatotropin oder Rinder-Wachstumshormon. Es wird mit gentechnisch veränderten Kolibakterien hergestellt und soll die Milchleistung der Kühe steigern. Als Monsanto 1993 vor drei Konkurrenten die Zulassung für sein rBST-Produkt (Markenname: Posilac) erhielt, witterten Ben & Jerry die große Chance, ihre Marke schärfer zu profilieren. Schon 1989 hieß es “not in our icecream” und seitdem wurde nur Milch von Betrieben verwendet, die ihre Kühe nicht mit Posilac oder ähnliche Präparaten behandelten. Viele Landwirte waren von rBST ohnehin wenig begeistert, da es damals den Verdacht gab, Posilac könnte bei den Kühen zu Euterentzündungen führen.
Um Posilac ist es inzwischen still geworden. Das Präparat ist in den USA zwar noch auf dem Markt, aber nur 18 Prozent der Farmer im Milchstaat Wisconsin spritzen ihren Kühen noch Posilac, so eine Umfrage der US-Landwirtschaftsbehörde. 2008 verkaufte Monsanto Posilac an eine Tochterfirma von Eli Lilly. Außerhalb der USA wurde rBST bis heute nicht zugelassen, weder in Kanada, noch in Argentinien oder in Europa. Dort war rBST noch vor “Anti-Matsch-Tomate” und “Gen-Soja” das erste Gentechnik-Produkt, das die Öffentlichkeit erregte. Angesicht von Überproduktion und Milchseen wollte man damals in der EU eine „vierte Hürde“ errichten, die eine Zulassung von einem – heute würde man sagen – sozio-ökonomischen Nutzen abhängig machen wollte. Aber dazu ist es nie gekommen. Für Monsanto war rBST keine Erfolgsgeschichte – wohl aber für Ben&Jerry’s. Mit ihrem auf jedem Eisbecher wiederholten Verzicht auf rBST-Milch konnten sie einen starken sozialen, ökologischen Markenkern aufbauen und im städtischen, linksliberalen Milieu eine treue, stetig wachsende Fangemeinde an sich zu binden.
Gute, ungewöhnliche Eissorten mit einem politischen Bekenntnis zu verbinden und so das Gefühl zu vermitteln, mit jedem Eis werde die Welt ein bisschen besser – diese Grundidee entwickelten Ben&Jerry’s bis zur Perfektion. So nannten sie ihr Kirscheis Cherry Garcia nach Jerry Garcia, dem Gitarristen der legendären Hippie- und Marihuana-Band Grateful Dead. Sie unterstützen Fairen Handel und soziale Projekte, protestierten gegen das Klonen von Rindern und es gab Gratis-Eis bei Rockkonzerten, Demonstrationen und für die Aktivisten von Occupy Wall Street, als sie 2011 den Zucotti-Park in Manhattan besetzt hielten.
Peace, Love & Icecream: Irgendwann war Ben&Jerry’s nicht mehr nur das kultige Eis aus der Tankstelle in Burlington im US-Bundesstaat Vermont, sondern eine wertvolle, international begehrte Marke. 2000 verkauften die beiden Gründer sie für 326 Millionen US-$ an den Lebensmittel- und Kosmetik-Konzern Unilever, einem ganz Großen in Sachen Eis (Langnese, Magnum). Und der brachte Ben&Jerry’s auch nach Europa.
Zwar sicherte Unilever Ben & Jerry’s Eigenständigkeit im sozialen Marketing zu, doch bei den aktuellen Konflikten um die Gentechnik stößt diese Rollenaufteilung an ihre Grenzen.
Im letzten Jahr kündigte Ben&Jerry’s an, bei allen Produkten vollständig auf Zutaten aus gentechnisch veränderten Organismen zu verzichten. Das war wohl etwas voreilig: Bis heute ist das Versprechen nur bei 14 von 50 Eissorten erfüllt. Vor allem Aromen, der berühmte, in die Eiscreme eingerührte Keksteig und HighCorn-Fructose-Sirup (enzymatisch aus Mais gewonnen) sind nicht so einfach gentechnik-frei zu machen. Die Milch für Ben&Jerry’s-Eis kommt weiterhin von konventionellen Milchfarmen, wo ganz selbstverständlich auch gentechnisch veränderte Futtermittel verwendet werden. Und auch der schöne Hinweis „all natural“ ist seit 2010 von den Eisbechern verschwunden.
Jerry Greenfield und Peter Shumlin, Gouverneur des US-Bundesstaates Vermont stellen die neue Eissorte vor: Food Fight Fudge Brownie. Für jedes Eis geht ein Dollar an die Right to know-Kampagne.
Foto: Anne Galloway
Dafür unterstützen Ben & Jerry’s die Right to know-Kampagnen, die in vielen US-Bundesstaaten eine verbindliche Kennzeichnung von Genfood durchsetzen wollen. Vermont, Heimat des Kulteises, hat im Frühjahr als erster Bundesstaat ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Nun wollen die in der Grocer’s Manufacturers Association (GMA) zusammengeschlossenen Lebensmittel- und Agrarkonzerne es mit einer Klage zu Fall bringen.
Ben & Jerry’s reagieren so, wie es ihnen vertraut ist: Sie positionieren sich mit ihrem Eis als Teil der Kampagne gegen die Konzerne und für die Kennzeichnung. Gerade haben sie eine populäre Sorte in Food Fight Fudge Brownie umbenannt. Für jedes verkaufte Eis fließt ein Dollar in die Kasse des Food Fight Fonds. Doch, anders als zu Zeiten des Konflikts um rBST haben Ben&Jerry’s nun ein Glaubwürdigkeitsproblem, denn ihr Mutterkonzern Unilever klagt als GMA-Mitglied nicht nur gegen das aktuelle Kennzeichnungs-Gesetz in Vermont. Im November 2012 hatte er zudem 467.100 US-$ für die Kampagne gespendet, die bei der Volksabstimmung in Kalifornien im letzten Moment einen Sieg der Kennzeichnungs-Befürworter verhinderte.
Nun sind es plötzlich Ben&Jerry’s, gegen die sich der Boykott der Umwelt- und Anti-Gentechnik-Organisationen richtet. „Wir werden kein einziges Ben&Jerry’s -Eis mehr kaufen“, so ein offener Brief der Organic Consumers Association (OCA) an die beiden Gründer und Chris Miller, den Social Mission Activism Mananger des Unternehmens, bis Ben&Jerry’s ebenfalls 467.100 US-$ gespendet hat – aber für die andere Seite, um die Klage der großen Unternehmen in Vermont abzuwehren und für die Fortsetzung der Right to Know-Kampagne im Bundesstaat Washington.
Der Mutterkonzern aktiv gegen Kennzeichnung, die eigene Marke vehement dafür und lautstark vorneweg im Food Fight – das kann nicht gut gehen. Social Marketing braucht Glaubwürdigkeit. Und die verspielt Ben&Jerry’s gerade.