Wo ohne Gentechnik drauf steht, darf etwas Gentechnik drin sein
Immer mehr Lebensmittel werben damit, „ohne Gentechnik“ hergestellt zu sein. Es sind vor allem wenig verarbeitete tierische Produkte, die das grüne Siegel tragen: Milch, Eier und inzwischen auch Fleisch. Das hat seinen Grund: Bei Futtermitteln sind die Vorschriften längst nicht so streng wie bei normalen Lebensmittelzutaten. Bei Pflanzen aus Mutationszüchtung hat „ohne Gentechnik“ einen blinden Fleck.
Seit 2008 gelten in Deutschland besondere gesetzliche Bestimmungen für Lebensmittel, die „ohne Gentechnik“ erzeugt werden. Produkte, die mit einem entsprechenden Hinweis versehen sind, müssen bestimmte Anforderungen erfüllen. Ein absolutes Gentechnik-Verbot gehört jedoch nicht dazu.
Welche Gentechnik-Anwendungen auch bei „ohne Gentechnik“-Produkten zulässig sind, ist unterschiedlich:
- Bei tierisch erzeugten Lebensmitteln wie Milch, Eiern oder Fleisch beziehen sie sich vor allem auf die Futtermittel, bei denen mehrere Ausnahmen vom Gentechnik-Verbot zulässig sind.
- Bei allen anderen Lebensmitteln sind die Vorschriften deutlich strenger. Diese sind weitaus schwerer zu erfüllen als bei Futtermitteln: Bei verarbeiteten Lebensmitteln findet man das „Ohne Gentechnik“-Siegel deswegen kaum. Bei Produkten mit einer längeren Herstellungskette, bei Zusatzstoffen und Aromen, erst recht bei Enzymen und anderen Hilfsstoffen können (oder wollen) die Zulieferer nicht garantieren, dass sie tatsächlich ohne Gentechnik hergestellt wurden.
Nach Angaben des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) entfallen 95 Prozent des Umsatzes mit „Ohne Gentechnik“-Produkten auf Milch, Eier und Geflügelfleisch.
Die Ausnahmen: Was bei „ohne Gentechnik“-Produkten erlaubt ist
Bei tierisch erzeugten Lebensmitteln wie Milch, Eiern und Fleisch lässt das „Ohne Gentechnik“-Siegel diese Gentechnik-Anwendungen bei den verwendeten Futtermitteln zu:
- „Zufällige, technisch unvermeidbare“ Beimischungen von zugelassenen gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen bis zu einem Anteil von 0,9 Prozent.
- Gv-Futterpflanzen dürfen bis auf einen bestimmten Zeitraum vor der Verwertung des Tieres ohne Einschränkungen eingesetzt werden. Bei Schweinen sind es etwa die letzten vier Monate vor der Schlachtung, bei Milch produzierenden Tieren die letzten drei Monate und bei Hühnern für die Eiererzeugung die letzten sechs Wochen.
- Futtermittelzusätze wie Enzyme, Vitamine oder Aminosäuren, die mit gv-Mikroorganismen hergestellt sind. Solche Zusätze werden häufig zugesetzt, um fehlende oder nicht ausreichend vorhandene Nährstoffe der pflanzlichen Futtermittel auszugleichen (etwa die Aminosäuren Lysin oder Methionin). Andere Zusätze sollen die Futtermittelverwertung (etwa Enzyme wie Amylase oder Phytase) oder die Vitaminversorgung (z.B. Vitamin B2) verbessern. Es ist davon auszugehen, dass viele dieser Zusätze mit gv-Mikroorganismen produziert werden.
- Tierarzneimittel und Impfstoffe, die mit gv-Mikroorganismen hergestellt sind, auch solche, die lebende gv-Mikroorganismen enthalten.
Bei allen übrigen Lebensmitteln und -zutaten lassen die „Ohne Gentechnik“-Vorschriften nur wenige Ausnahmen zu:
- Anders als bei Futtermitteln sind zufällige oder technisch unvermeidbare Beimischungen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nicht zulässig. Im Rahmen der amtlichen Überwachung ist es jedoch gängige Praxis, Anteile unterhalb der technischen Bestimmungsgrenze von 0,1 Prozent nicht weiterzuverfolgen, sofern es sich um zugelassene GVO handelt. - Bei den von den Bundesländern durchgeführten Kontrollen werden in „Ohne Gentechnik“-Produkten GVO-Spuren unterhalb 0,1 Prozent toleriert.
- Lebensmittelzusatzstoffe dürfen mit gv-Mikroorganismen hergestellt werden, wenn es sich nicht um die letzte, sondern um eine vorgelagerte Stufe im Herstellungsprozess handelt.
Eine Besonderheit sind Pflanzen, die mit klassischer Mutationszüchtung erzeugt wurden: Dabei werden mit Hilfe von speziellen Chemikalien oder radioaktiver Bestrahlung zufällige, ungerichtete Mutationen in großer Zahl ausgelöst. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 solche Pflanzen als „gentechnisch veränderte Organismen“ eingestuft, sie aber dennoch von den für GVO geltenden Vorschriften - etwa Zulassungspflicht, Kennzeichnung - ausgenommen sind.
Praktische Auswirkungen hat das EuGH-Urteil bisher jedoch nicht. Produkte, die mit dem „Ohne Gentechnik“-Label deklariert sind, dürfen weiterhin mit Mutagenese gezüchtete Pflanzen enthalten, obwohl sie nach dem Urteil des EuGH Gentechnik sind. Mutationszüchtung wird bei Pflanzen häufig angewandt. Weltweit sind mehr als 3300 Sorten auf diese Weise gezüchtet worden. Dazu zählen beispielsweise ein Großteil der Hartweizensorten, die für die Herstellung von Pasta verwendet werden, aber auch viele andere Getreidesorten, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte.
Der Widerspruch ist offenkundig: Im Rahmen der „ohne Gentechnik“-Kennzeichnung werden Pflanzen aus Mutationszüchtung konventionellen Pflanzen gleichgesetzt, obwohl sie nach europäischer Rechtsprechung als „gentechnisch verändert“ gelten.
Die Deklaration „Ohne Gentechnik“ ist für die Hersteller freiwillig.