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Lebensmittel: Die versteckte Gentechnik

Gentechnik bei unseren Lebensmitteln? Gibt es nicht, denken viele. Doch das stimmt nur oberflächlich: Zwar findet sich in deutschen Supermärkten kein einziges Produkt, das als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet ist. Doch tatsächlich „ohne Gentechnik“ sind sie meist nicht. Denn die gesetzlichen Kennzeichnungsvorschriften lassen eine Menge Ausnahmen zu. Etwa Zusatzstoffe, Vitamine oder Enzyme, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert werden. Oder Fleisch, Milch oder Käse von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden. Gerade hier ist Gentechnik oft beteiligt, doch sie versteckt sich unterhalb der Kennzeichnungsschwelle.

Wenn ein Lebensmittel oder eine Zutat ein gentechnisch veränderter Organismus (GVO) ist oder daraus hergestellt wurde, dann muss es gekennzeichnet werden. Das ist seit 2003 gesetzliche Vorschrift in der Europäischen Union. Dennoch: Im Handel gibt es solche Produkte nicht, vielleicht hier und da mal ein exotisches US-Importprodukt, das in seiner Zutatenliste auf Zutaten aus gentechnisch verändertem Mais oder Sojabohnen hinweist (Foto links). Aber sonst: Alles clean und scheinbar frei von Gentechnik. Doch ist das tatsächlich so?

Resse's, Riegel, Kennzeichnung

Importprodukte: Vereinzelt sind auch in Deutschland aus den USA importierte Produkte zu finden, die gekennzeichnet sind, etwa der „Reese’s“-Riegel. Er enthält Zutaten aus gentechnisch veränderten Zuckerrüben, gv-Mais und gv-Sojabohnen.

Sojaöl, Kennzeichnung, Zutatenliste

Kein Tabu ist die korrekte Kennzeichnung etwa in den Niederlanden.

Als Ende der 1990er Jahre erste Produkte wie etwa der Butterfinger-Riegel von Nestlémit Gentechnik und korrekt gekennzeichnet – in die Supermärkte kamen, protestierten Umwelt- und Verbraucherverbände so lange, bis sie wieder aus den Regalen verschwanden. Für Hersteller und Handelsketten war es eine schmerzliche Lektion: Wer in Bezug auf Gentechnik ehrlich kennzeichnet, wird mit Umsatz- und Vertrauensverlusten bestraft. Seitdem tun sie alles, um kennzeichnungspflichtige Zutaten in ihren Produkten zu vermeiden. Sie verlangen von ihren Zulieferern Gentechnik-frei-Zertifikate oder haben Rezepturen geändert, um die Kennzeichnung zu umgehen.

Viele Konsumenten haben bei Gentechnik im Essen ein „unsicheres Gefühl“, sie empfinden sie als „unnatürlich“ oder glauben, dass die Risiken nicht ausreichend erforscht seien. Deswegen lassen die meisten Verbraucher*innen gekennzeichnete Produkte im Regal stehen und greifen lieber zu nicht gekennzeichneten Produkten – obwohl hinsichtlich Sicherheit und Produkteigenschaften keine Unterschiede bestehen. Und erkennbare Vorteile scheinen Gentechnik-Produkte ohnehin nicht zu haben. „Keine Gentechnik“ kostet nichts.

Doch: Ohne Kennzeichnung bedeutet eben nicht „ohne Gentechnik“. Die EU-Gesetze erlauben zahlreiche Anwendungen der Gentechnik, ohne dass sie auf dem jeweiligen Produkt gekennzeichnet werden müssten. Vor allem die Nutzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) auf vorgelagerten Verarbeitungsstufen – etwa bei Zusatzstoffen, Enzymen oder Futtermitteln – bleibt häufig unterhalb der gesetzlichen Kennzeichnungsschwelle. Bei 60 bis 80 Prozent aller Lebensmittel, so schätzen Branchen-Insider, soll die Gentechnik auf die ein oder andere Weise beteiligt sein. Auf dem Etikett der Produkte zu erkennen ist das alles nicht.

Diskret und ohne dass die meisten Konsumenten davon wissen, ist der Einsatz von gentechnisch veränderten Mikroorganismen und Pflanzen bei der Herstellung Lebensmitteln schon lange Realität.

Es sind vor allem folgende Gruppen von Lebensmitteln und Zutaten, bei denen bestimmte gentechnische Anwendungen möglich oder wahrscheinlich sind, die aber nicht unter die gesetzliche Kennzeichnungspflicht fallen.

Glutamat Kristalle

Ohne Kennzeichnung:
Zusatzstoffe, Vitamine und Aromen, die mit Hilfe gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden.

Zahlreiche Zusatz- und andere Stoffe werden heute nicht mehr chemisch, sondern biotechnologisch gewonnen, also mit Hilfe von Bakterien, Hefen oder Pilzen. Viele der verwendeten Mikroorganismen sind mit gentechnischen und anderen neuen molekularbiologischen Verfahren an ihren Verwendungszweck angepasst worden. Etwa, um die Qualität der Produkte oder die Wirtschaftlichkeit der Prozesse zu steigern.

Beispiele für solche mit Hilfe von gv-Mikroorganismen herstellte Zusatzstoffe dafür sind etwa die Aminosäure Cystein, welche die Verarbeitung von Backwaren verbessert, der Süßstoff Aspartam, der Geschmacksverstärker Glutamat oder die Vitamine B2 und B12. Auch bei Vanillin und anderen Aromen können gentechnisch veränderte Mikroorganismen – meist Hefen – eingesetzt werden. Und selbst ein ursprünglich aus der Stevia-Pflanze stammender kalorienarmer Süßstoff bleibt ohne Kennzeichnung, wenn er mit Hilfe von gv-Hefe hergestellt wird (Steviol-Glykoside E960).

Enzyme

Ohne Kennzeichnung:
Lebensmittelenzyme, die zu einem großen Teil ebenfalls mit Hilfe von gv-Mikroorganismen produziert werden.

Enzyme sind biologische Katalysatoren, die in großer Zahl in allen Organismen vorkommen und viele natürliche Prozesse steuern. Sie können etwa größere Moleküle präzise an ganz bestimmten Stellen aufspalten oder auch neu kombinieren. Das macht sie zu idealen biochemischen „Werkzeugen“ in der Lebensmittelproduktion.

Isolierte Enzyme werden bei der Herstellung und Verarbeitung verschiedener Lebensmittel eingesetzt, etwa bei Käse, Backwaren, Süßwaren, Saft oder Wein. Bestimmte Enzyme können pflanzliche Stärke in ihre Zuckerbausteine aufspalten. Aus diesem Prozess der Stärkeverzuckerung leiten sich eine Reihe häufig eingesetzter Zusatzstoffe und Zutaten ab, etwa Traubenzucker, Glukosesirup, Isoglukose oder Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit.

Auch die Herstellung von Käse ist auf einen enzymatischen Prozess angewiesen. Ein Enzym (Chymosin, Labenzym) spaltet den Milchzucker der Milch, so dass sie gerinnt und dick wird. Erst danach kann die Käsereifung einsetzen.

Zahlreiche Enzyme werden inzwischen mit Hilfe von gv-Mikroorganismen hergestellt, bei einigen sind konventionell gewonnene Produkte nicht mehr erhältlich.

Enzyme gelten lebensmittelrechtlich als Hilfsstoffe, die bis auf wenige Ausnahmen nicht zu deklarieren sind und daher grundsätzlich nicht auf der Zutatenliste erscheinen, unabhängig von ihrem Produktionsverfahren. Inzwischen müssen Lebensmittelenzyme in der EU bei der Lebensmittelbehörde EFSA registriert werden. Etwa zwei Drittel der bisher dort angemeldeten Enzyme sind gentechnisch hergestellt.

Wurst

Ohne Kennzeichnung:
Tierische Produkte wie Fleisch, Eier, Milch- und Milchprodukte, wenn die Tiere Futter aus gentechnisch veränderten Pflanzen oder mit gv-Mikroorganismen hergestellte Futter-Zusatzstoffe erhalten haben.

Die EU kann ihre Nutztiere – Rinder, Schweine, Geflügel – nicht selbst mit ausreichend Futter versorgen. Jährlich werden etwa 30 Mio. Tonnen Sojabohnen und Sojaschrot eingeführt – überwiegend aus Ländern, in denen fast ausschließlich gv-Sojabohnen angebaut werden. Werden diese Sojabohnen – oder andere gv-Pflanzen wie Mais oder Raps – an Nutztiere verfüttert, sind die so erzeugten Produkte – Fleisch, Wurst, Milch und Milchprodukte – nicht kennzeichnungspflichtig. Sie werden als Lebensmittel angesehen, die mit Hilfe von gv-Pflanzen erzeugt wurden, nicht aber aus solchen. Auch mit GVO erzeugte Aminosäuren, Vitamine und Enzyme, die häufig dem Futter beigemischt werden, führen nicht zu einen Kennzeichnung der Endprodukte.

Das gilt sogar für Produkte, die das offizielle Ohne-Gentechnik-Label tragen. Dennoch sind gentechnisch hergestellten Futterzusätze generell erlaubt sowie Beimischungen von gv-Pflanzen bis zu einem Anteil von 0,9 Prozent.

Sojabohnen

Ohne Kennzeichnung:
Zufällige, technisch unvermeidbare Beimischungen von in der EU zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen bis zu einem Anteil von 0,9 Prozent.

In der EU sind bereits 102 gv-Pflanzen (Events) zum Import zugelassen, überwiegend verschiedene Varianten von gv-Mais und gv-Soja, aber auch gv-Zuckerrüben und gv-Raps (Stand Oktober 2024). Bei Agrarimporten sind „zufällige, technisch unvermeidbare“ Beimischungen dieser gv-Pflanzen bis zu 0,9 Prozent erlaubt, ohne dass die damit erzeugten Lebens- und Futtermittel gekennzeichnet werden müssen.

Ruby Red Grapefruit

Ohne Kennzeichnung:
Pflanzen, die mit Hilfe der Mutationszüchtung entwickelt wurden. Rechtlich sind sie zwar GVO, aber von allen dafür geltenden Auflagen ausgenommen.

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gelten auch solche Pflanzen als gentechnisch verändert, die im Verlauf ihrer Züchtung erbgut-verändernder Strahlung oder Chemikalien ausgesetzt wurden, um so die Zahl zufälliger Mutationen extrem zu erhöhen. Sie fallen zwar unter die Gentechnik-Gesetze, sind jedoch zugleich von allen Einschränkungen für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) befreit: Sie müssen weder zugelassen, noch gekennzeichnet werden.

Fast alle gängigen Hartweizensorten, aber auch viele andere Getreidesorten, Reis, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte sind aus der Mutationszüchtung (Mutagenese) hervorgegangen, auch die rosafarbene Ruby Red-Grapefruit. Obwohl es sich nach den EU-Gesetzen um GVO handelt, müssen sie nicht gekennzeichnet werden. Das gilt auch für Öko-Produkte.

Fotos: iStock (großes Foto oben), Kia Chen Boon/123RF, Jovan Jaric/123RF,i-bio

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