Oettinger ohne Gentechnik. Ein Billig-Bier will gut sein
Oettinger Bier, das ist Kult, aber ein merkwürdiger. Und jetzt kommt es als erstes deutsches Bier mit dem „Ohne Gentechnik“-Siegel daher. Die Oetti-Fans, wie sich die getreue Gefolgschaft der Marke nennt, nehmen es hin wie alles, wenn es ihr Bier nur nicht teurer macht. Für die Oettinger-Brauerei ist dagegen „Ohne Gentechnik“ äußerst praktisch: Es liftet das etwas heruntergekommene Image, kostet aber nichts außer den nun plötzlich und gegen alle Unternehmensphilosophie grün eingefärbten Kronkorken. Man muss für das Siegel auch nicht die Rohstoff-Lieferanten wechseln. Aber das Billig-Bier wird plötzlich gut und moralisch aufgewertet. Es gibt vor, besser, verantwortungsvoller zu sein als die Konkurrenz, die nun dasteht, als würden ihre Biere „mit Gentechnik“ gebraut.
Das Billige, Pröllige ist der bewusst gepflegte Oettinger-Markenkern. Die Brauerei, so die immer wieder kolportierte Geschichte, verzichtet auf Fernsehwerbung und teure Kampagnen, spart das Geld für bedruckte Kronkorken (so war es bisher) und umgeht den Zwischenhandel – und das alles, damit die Oetti-Fans ihr Bier so billig wie möglich bekommen. Vor ein paar Jahren war der 20er Kasten Oettinger-Pils noch für unschlagbare 3,80 € zu haben. Heute muss der Biertrinker zwar 2 bis 3 € mehr dafür zahlen, aber es kostet immer noch die Hälfte der bekannten Markenbiere. Seit vielen Jahren ist Oettinger mit großem Abstand das meist getrunkene Bier in Deutschland.
Die oft persönliche Bindung der Trinker an ihr Oetti wird durch die PR-Strategen der Brauerei nach Kräften unterstützt. Es gibt unzählige Fanclubs, zahlreiche Fansongs von Rap bis Bierzeltgröhlerei und eine unfassbar niveau- und geschmacklose „offizielle“ Fanseite bei Facebook. Oettinger erweckt den Eindruck, als sei es das wichtigste Unternehmensziel, gegen alle Widerstände in der Branche Bier so günstig anzubieten, dass es sich jeder leisten kann– auch wer sonst auf jeden Euro schauen muss. Billig-Bier als soziale Tat.
Oettinger-Bier polarisiert. Es gibt nur treue Fans und abgrundtiefe Hasser. Für den „gehobenen“ Biertrinker ist Oettinger „eines der asozialsten Biere unserer Zeit“, eine „Plörre“ (und das ist noch eine harmlose Wortwahl), die Kopfschmerzen macht. Bei einer Verkostung wird der „leicht staubige Antrunk“ moniert. „Dann trink doch dein überteuertes Fernsehbier“, kontern stereotyp die Oetti-Fans.
Aber irgendwann stößt das trotzig gepflegte Pröll-Image an seine Grenzen. Ohne neue Marketing-Akzente wird es Oettinger wohl kaum gelingen, in einem seit Jahren schrumpfenden Biermarkt die derzeitige Jahresproduktion von gut 6 Millionen Hektoliter zu halten. Aber wie neue Käuferschichten gewinnen ohne den harten Kern der Oetti-Fans zu verprellen? Mehr Qualität, mehr Werbung, ein neuer Anstrich für die Marke – das kostet viel Geld und verdirbt das Billig-Image.
Aber es gibt ja das „Ohne Gentechnik“-Siegel, 2009 von der damaligen Landwirtschafts- und Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) aus der Taufe gehoben und inzwischen unter der Obhut des „Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik” (VLOG). Als Oettinger als erste Brauerei das Siegel auf seine Bierflaschen klebte, war das Presseecho groß. Selbst der Spiegel berichtete.
Bisher wird das Siegel von etwa 150 meist kleineren Betrieben genutzt, vor allem für Eier, Milch und Molkereiprodukte. Hier sind die Bedingungen des Siegels vergleichsweise einfach einzuhalten, da in erster Linie die Verwendung von gentechnisch veränderten Futtermitteln auszuschließen ist. Bei anderen Produkten mit längeren und komplexen Zulieferketten ist das deutlich schwieriger. Die Hersteller scheuen sich, ihre Produkte mit dem „Ohne Gentechnik“-Siegel zu versehen, weil kaum jemand eine Garantie dafür übernehmen kann und jeder klitzkleine Gentechnik-Fund das Vertrauen in die betreffende Marke nachhaltig beschädigen würde.
Oettinger-Bier: Ohne Gentechnik-Etikett. Ein “Gütesiegel des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz”?
Bier hingegen ist ein Sonderfall. Nach dem deutschen Reinheitsgebot gebrautes Bier „gilt generell als das sauberste Lebensmittel“ (Oettinger) mit „absolut reinen Rohstoffen“ – nichts als Wasser, Gerstenmalz (bzw. Weizen bei Weizenbier), Hopfen und Hefe. „Ohne Gentechnik“ sind sie alle: Weltweit gibt es weder gentechnisch veränderte Gerste noch gentechnisch veränderten Hopfen, und zumindest in der EU auch keine gentechnisch veränderte Bierhefe. Und experimentelle Freilandversuche mit gv-Gerste sind an einer Hand aufzuzählen, in Deutschland jedenfalls keine. Und aus den USA, wo mehr Forschungsprojekte mit gv-Gerste zu verzeichnen sind, wird Oettinger seine Braugerste wohl nicht importieren.
Jedes nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraute Bier ist heute „ohne Gentechnik“. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die großen Biermarken in nichts von kleinen Öko-Bieren – und eben auch nicht von Oettinger.
Bei welchen Rohstoffen besondere Gentechnik-Kontrollen durchgeführt werden, welche Maßnahmen die Brauerei ergriffen habe, um diese „Reinheit der Rohstoffe“ zu garantieren – bisher blieb Oettinger eine konkrete Antwort schuldig. Man spricht nebulös von der „wachsenden Globalisierung auf den Rohstoffmärkten“, von „möglichen Verunreinigungen und Kreuzkontaminationen“ und verweist auf ein „engmaschiges Kontrollsystem“. Nur: was wird eigentlich kontrolliert?
Oettinger hat sich mit seinem „Ohne Gentechnik“-Coup in eine Sackgasse manövriert: Entweder ist das Bier tatsächlich nach dem Reinheitsgebot gebraut, dann ist das „Ohne Gentechnik“-Siegel Werbung mit Selbstverständlichkeiten und Verbrauchertäuschung. Oder aber für Oettinger werden wie bei ausländischen Bieren Enzyme und weitere Zutaten verwendet. Diese können durchaus mit oder aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt sein. Ein „Ohne Gentechnik“-Siegel würde anzeigen, dass solche Zutaten und Enzyme „mit Gentechnik“ ausgeschlossen sind. Aber dann wäre das Reinheitsgebot, mit dem Oettinger stolz auf jeder Flasche wirbt, die Täuschung.
Nicht nur das. Oettinger wertet auch das „Ohne Gentechnik“-Siegel ab. Es prangt aufdringlich auf einem Produkt, das sich weder stofflich von anderen Bieren unterscheidet, noch in Bezug auf die Anwendung der Gentechnologie. Der einzige Zweck des Siegels ist es, ein Billig-Produkt aufzuwerten, als sei es von höherer Qualität, hergestellt mit besonderer Verantwortung für Umwelt, Natur und Gesundheit.
Aber dass es funktioniert – dass „ohne Gentechnik“ den Anschein des Guten und Natürlichen verleiht, alles, was „mit Gentechnik“ sein könnte, das Gegenteil davon – das ist eine andere Geschichte.
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Von: Gerd Spelsberg