Gentechnisch hergestellte Arzneimittel

Arzneimittel: Jeder zweite neu zugelassene Wirkstoff ist gentechnisch hergestellt

Wenn es um die Gesundheit geht, scheint Gentechnik weitgehend akzeptiert: Inzwischen sind in Deutschland 384 Arzneimittel auf dem Markt, die gentechnisch hergestellt sind. Von den neu zugelassenen Wirkstoffen wird bereits jeder zweite mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen oder Zellen produziert. In vielen Bereichen – etwa Impfstoffe oder Krebskrankheiten – haben Gentechnik und Molekularbiologie deutliche Fortschritte gebracht und neue, bessere Therapieformen ermöglicht. Anders als bei Pflanzen und Lebensmitteln interessiert es bei Medikamenten und Impfstoffen kaum jemand, welche Rolle Gentechnik dabei spielt. Doch das war nicht immer so.

Corona Impfstoff

Corona-Impfstoffe: Gut, dass es die Gentechnik gibt. Wie wichtig moderne gentechnische und molekularbiologische Verfahren gerade im Kampf gegen neue Infektionskrankheiten sind, hat die Corona-Pandemie gezeigt. Innerhalb weniger Wochen gelangen Isolierung und genetische Entschlüsselung des Virus. Damit konnten nicht nur PCR-Tests entwickelt werden, sondern vor allem hochwirksame Impfstoffe.

Grafiken: Bing Image Creator

Seit der Einführung des zentralen EU-Zulassungsverfahrens 1995 wurden in Deutschland 384 gentechnisch hergestellte Arzneimittel mit 343 Wirkstoffen zugelassen, mindestens 18 weitere Arzneimittel mit 15 Wirkstoffen hatten schon vorher eine Marktzulassung erhalten (Stand Mai 2024). Bei den neu zugelassenen Wirkstoffe werden bereits die Hälfte mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen oder Zellkulturen produziert. Von den insgesamt 63 Wirkstoffen, die 2022 neu zugelassen wurden, werden 37 gentechnisch hergestellt, davon sind 30 Original-Biopharmazeutika und sieben Biosimilars, Nachbildungen von Originalpharmaka, deren Patente ausgelaufen sind. Diese sind in der Regel deutlich billiger.

  • Der Umsatz mit gentechnisch hergestellten Pharma-Produkten stieg 2022 gegenüber dem Vorjahr um gut zehn Prozent auf 17,8 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 32,9 Prozent am Gesamt-Pharmamarkt – Tendenz steigend. Darin sind noch nicht einmal die Umsätze der von der Bundesregierung bezahlten Sars-Cov2-Impfstoffe enthalten (geschätzt 2 - 2,5 Mrd. Euro). Das Umsatz-Wachstum bei den Gentech-Arzneimitteln war 2022 gegenüber dem Vorjahr doppelt so hoch wie im Gesamt-Pharmamarkt (10,5/5,4%). (Nach: Biotech-Report Kompakt. Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2023)
  • Die wichtigsten Anwendungsfelder für gentechnisch hergestellte Medikamente – auch als Biopharmazeutika oder Biologika bezeichnet – sind Krebserkrankungen und neue innovative Therapien (Umsatz in Deutschland 2022 5,2 Mrd €), Immunologie und Autoimmunkrankheiten (4,9 Mrd €), Stoffwechselerkrankungen (2,5 Mrd €), Erkrankungen des Zentralen Nervensystems, Impfstoffe und antivirale Wirkstoffe, aber auch Makuladegeneration und Osteoporose.
  • Die Forschungspipeline ist gut bestückt: 672 neue Biopharmazeutika befinden sich 2022 in der klinischen Erprobung, davon 133 in der Phase III. Die weitaus meisten sind rekombinante Antikörper – „maßgeschneiderte“ immunologische Proteine, die dazu beitragen, Diagnose und Therapie bestimmter Krankheiten zu verbessern, etwa bei verschiedenen Krebsarten, Multipler Sklerose oder Alzheimer. 2022 wurden 439 rekombinante Antikörper in klinischen Studien getestet, davon 87 in Phase III, der letzten Stufe vor einem Zulassungsantrag. (Zum Vergleich: 2005 befanden sich insgesamt nur 256 Biopharmazeutika in der klinischen Erprobung.)
  • Mehrere Impfstoffe gegen Hepatitis B, Gebärmutterhalskrebs, Tetanus, Diphterie oder Hirnhautentzündungen (Meningokokken) stammen inzwischen ebenso aus gentechnischer Herstellung wie solche gegen Cholera, Grippe und Papillomaviren (Auslöser von Gebärmutterhalskrebs und anderen Krankheiten). Auch ein gentechnisch entwickelter Vektor-Impfstoff gegen Ebola ist in der EU zugelassen – und natürlich die neuartigen Impfstoffe gegen Corona (Sars-CoV-2). Weitere 122 bio- oder gentechnologisch hergestellte Impfstoffe befanden sich 2022 in der klinischen Erprobung, 23 in Phase III.
  • Als Produktionsorganismen für medizinische Wirkstoffe kommen vor allem Zellkulturen zum Einsatz, meist Linien aus Hamstern oder Mäusen, aber auch Humanzellen. In zahlreichen Anlagen „arbeiten“ gentechnisch veränderte Kolibakterien (E. coli) oder verschiedene Hefestämme, die mit gentechnischen Verfahren so „umgebaut“ wurden, dass sie die jeweiligen Wirkstoffe oder Proteine produzieren. Zwei zugelassene Wirkstoffe stammen aus gv-Tieren: Ziegen liefern einen Wirkstoff (Atryn) zur Thrombose-Vorbeugung, Kaninchen einen gegen das hereditäre Angioödem, eine seltene Erbkrankheit.

Produziert werden die in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe vor allem in den USA. Immerhin 60 gentechnische Produktions-Anlagen stehen in Deutschland, gut 100 in den übrigen EU-Ländern, aber auch in Singapur (18), Südkorea (17) Indien (11), Japan (8). China (7) und weiteren außereuropäischen Ländern.

Gentechnik in der Medizin ist inzwischen akzeptiert, bei Pflanzen und Lebensmitteln nicht

Heute sind solche Medikamente – sowohl für Ärzte, als auch für Patienten – etwas Selbstverständliches. Was interessiert, ist der medizinische Nutzen eines Arzneimittels, nicht ob es „mit“ oder „ohne“ Gentechnik hergestellt wurde. Grundsätzliche Vorbehalte gegen jede Gentechnik – nicht abschätzbare Sicherheit, ethische Bedenken, Konzernmacht – gibt es inzwischen in Deutschland kaum noch, allenfalls im Querdenker-Milieu. Zwar ist Gentechnik in der Medizin weitgehend akzeptiert, doch bei Pflanzen und Lebensmitteln prägt eine skeptische, ablehnende Haltung noch immer das gesellschaftliche Meinungsklima.

Noch vor gut zwanzig Jahren machte die Gentechnik-Kritik keine Unterschiede zwischen den Anwendungsbereichen. Sie zogen nicht nur Nutzen und Wirksamkeit gentechnisch hergestellter Medikamente grundsätzlich in Zweifel, sondern auch die Sicherheit der Produktionsanlagen. Die gv-Mikroorganismen könnten in die Umwelt entweichen, dort ihre eingeführten Gene weitergeben und so zu irreversiblen Schäden führen – ganz ähnlich, wie heute „nicht abschätzbare“ Risiken beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen heraufbeschworen werden.

Lange forderten Grüne und viele Umweltorganisationen ein völliges Gentechnik-Verbot. Das hatte Folgen: Erst 1998, vierzehn Jahre nach dem ersten Antrag, nahm in Frankfurt die Anlage zur Produktion von Humaninsulin ihren Betrieb auf. Mit immer neuen Verfahrensstreitigkeiten und Gutachten zum „Restrisiko“ hatte die damalige rot-grüne hessische Landesregierung den Start verzögert. Heute sind in Deutschland 26 gentechnisch hergestellte Insulin-Wirkstoffe zugelassen. Elf werden in Dänemark hergestellt, vier in den USA und acht in Deutschland.

Seit den ersten gentechnisch hergestellten Wirkstoffen wie Insulin oder dem Nierenhormon Erythropoietin (EPO) haben sich Molekularbiologie und Produktionstechnik weiterentwickelt. Anders als einfache Medikamente sind heutige Biopharmazeutika große, komplexe Makromoleküle, die aus 20.000 Atomen – oder sogar mehr – bestehen und eine bestimmte dreidimensionale Struktur aufweisen müssen, um die jeweilige Wirkung zu erzielen. Erst mit einer entwickelten molekularen Biotechnologie, leistungsfähigen Sequenzier- und Labortechniken ist es möglich geworden, solche Medikamente in gleichbleibender Qualität herstellen zu können – mit Hilfe gezielt dafür veränderter Zellkulturen, Hefen oder Bakterien.

Mit der einfachen Gentechnik aus den 1990er-Jahren – ein Gen für einen Wirkstoff isolieren und in einen Produktionsorganismus übertragen – ist es längst nicht mehr getan. So kann man heute etwa einen bestimmten Stoff mit genau definierten Eigenschaften mit Hilfe von Computerprogrammen in den jeweiligen genetischen Code übersetzen und dann ein solches synthetisches Gen in geeignete Mikroorganismen oder Zellen übertragen. Zudem ist in den letzten Jahren die Synthetische Biologie hinzugekommen. Forscher können damit neue, zu den gewünschten Wirkstoffen führende Stoffwechselwege „konstruieren“ und sie dann in geeignete biologische Systeme übertragen.

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