RNAi-Spray, Teaser

RNA-Sprays gegen Schädlinge – der biologische Pflanzenschutz der Zukunft?

Mit der Corona-Pandemie trat sie ins große Rampenlicht: die RNA, die flüchtige Variante der Erbsubstanz DNA. Sie war der Schlüssel für die ersten, so verblüffend rasch entwickelten Impfstoffe. Könnte die RNA mit ihren erstaunlichen Fähigkeiten nicht auch Pflanzen vor Schädlingen und Krankheitserregern schützen? Inzwischen ist das mehr als eine verrückte Idee. Noch ist viel Forschung nötig. Doch schon bald könnten RNA-Sprays eine nachhaltige biologische Alternative zu chemischen Pflanzenschutzmitteln sein. Ein erstes Produkt ist in den USA bereits zugelassen.

Überall auf der Welt nutzen Landwirte Pflanzenschutzmittel, um Schädlinge und Krankheitserreger zu kontrollieren. Das führt zu besseren Ernten, hat aber auch negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Diese sind „tiefgreifender“ als bisher angenommen, so die Ergebnisse einer internationalen Metastudie, für die über 1700 Untersuchungen ausgewertet wurden (Feb 2025). Weniger „Pestizide“ in der Landwirtschaft – solche Forderungen kommen nicht nur aus der Wissenschaft, sondern sind wichtige Ziele der europäischen Agrarpolitik. Bis 2030 wollte die EU-Kommission den Einsatz „chemischer Pestizide“ in der EU halbieren.

Grafik RNAi-Spray, Kartoffelkäfer

So funktioniert RNA-Spray: dsRNA (doppelsträngige RNA) wird auf die Blattoberfläche gesprüht (1). Ein am Blatt fressendes Insekt (z.B. ein Kartoffelkäfer) nimmt die dsRNA auf (2). In der Insektenzelle zerlegt das Enzym Dicer (DCL) die dsRNA in kleinere siRNAs (small interferring RNA) (3a+b). In dem Multi-Enzym-Komplex RISC (RNA-induced silencing) wird der Doppelstrang der siRNA aufgetrennt (3c). Ein Strang wird abgebaut, der andere bindet komplementär an die mRNA (messenger RNA) des Zielgens. Die darin codierte Information wird blockiert (3d) und die mRNA abgebaut (3e). Dadurch kann ein für den Käfer überlebenswichtiges Protein nicht gebildet werden. Das Insekt stirbt (4).

Zwar sind solche ehrgeizigen Pläne erst einmal auf Eis gelegt, doch die große, drängende Herausforderung bleibt: Gleich, ob konventionell oder bio – eine Landwirtschaft, die nachhaltig und klimaangepasst ist, aber auch alle gut und ausreichend ernährt, kann nicht einfach so weitermachen wie bisher. Nötig sind Innovationen in vielen Bereichen, ganz besonders beim Pflanzenschutz. Die große Linie: Weg von der Chemie, hin zu mehr (Molekular-) Biologie.

Neben anderen Konzepten – etwa neuen Züchtungsverfahren wie der Gen-Schere CRISPR/Cas oder der Optimierung von Mikroorganismen-Gemeinschaften (Mikrobiom) im Boden – versucht man seit einiger Zeit, Pflanzenschädlinge oder Krankheitserreger über einen natürlichen Mechanismus auszuschalten, mit dem Zellen je nach Bedarf die Aktivitäten von Genen herauf- oder herunterregulieren: Dieser wird als RNA-Interferenz (RNAi) oder Gene Silencing bezeichnet (siehe Grafik im Kasten links).

Der Schlüssel dazu ist die RNA, die sich aus der Erbsubstanz DNA ableitet und in kleinen Molekülen millionenfach in den Zellen zirkuliert. Sie steuert dort verschiede Prozesse und reguliert die Aktivität einzelner Gene. Als Boten-RNA (mRNA) transportiert sie den DNA-Code vom Zellkern zu den Ribosomen, wo das entsprechende Protein gebildet wird. Je nachdem, ob es gerade benötigt wird oder nicht, kann die betreffende mRNA-Sequenz auf dem Weg dorthin „unlesbar“ gemacht werden.

Erstaunlicherweise funktioniert dieser Mechanismus nicht nur innerhalb der jeweiligen Pflanzenzelle, sondern auch in denen anderer Organismen. Wäre es nicht möglich, RNA-Interferenz für ein ganz neues Pflanzenschutz-Konzept zu nutzen? Maßgeschneiderte, funktionelle RNA-Sequenzen, könnten in Pflanzenschädlingen oder Krankheitserregern Gene für lebenswichtige Schlüsselproteine blockieren und diese so unschädlich machen. Schon seit ein paar Jahren verfolgen Forschungseinrichtungen und Unternehmen diese faszinierende Idee.

Zunächst schien es naheliegend, wenn die gegen ihre Fraßfeinde gerichteten RNA-Sequenzen in der betroffenen Pflanze selbst gebildet werden. Einige solcher Pflanzen gibt es bereits. In den USA und China ist ein Mais zugelassen, der über eine neuartige, RNA-vermittelte Resistenz gegen den Maiswurzelbohrer, einen besonders hartnäckigen Schädling verfügt. Nun soll er auf die Felder kommen. Doch dieser Mais – genau wie ähnliche Pflanzen - produziert die „fremde“ RNA-Sequenz nur, wenn er zuvor entsprechend gentechnisch verändert wurde. Solche Pflanzen müssen nicht nur teure und zeitaufwändige Zulassungsverfahren durchlaufen, es mangelt zudem an Akzeptanz, besonders in Europa.

Doch es gibt eine Alternative: Die RNA-Sequenzen, die bei einem Schädling zu einer Blockade eines geeigneten Zielgens führen, können auch – ähnlich wie die RNA-Impfstoffe – biotechnologisch extern produziert und dann von außen auf die zu schützende Pflanze gesprüht werden – wie ein Pflanzenschutzmittel, das allerdings nicht mehr aus einem chemischen Wirkstoff besteht, sondern aus einer kurzen genetischen Information in Form einer maßgeschneiderten RNA-Sequenz. Anders als viele chemische Substanzen zerfällt RNA rasch. Auf dem Feld und in der Umwelt baut sie sich schon nach kurzer Zeit wieder ab. Die Pflanze selbst bleibt unverändert.

Aline Koch

Prof. Dr. Aline Koch, Universität Regensburg, forscht seit vielen Jahren zu RNA-Sprays.

Wenn plötzlich Krankheitserreger oder Schädlinge auftreten, dann sind sequenzbasierte Wirkstoffe wie die RNA einfach schneller verfügbar. Damit können wir relativ schnell und günstig reagieren. Das benötigt keine zehn, zwanzig Jahre Entwicklungszeit wie bei herkömmlichen Pflanzenschutzmitteln.

Das ist nicht der einzige Vorteil des Spray-Konzepts. „Mit den RNA-Sprays können wir im Prinzip jede Pflanze, die man sich vorstellen kann, als Zielkultur schützen,“ so Aline Koch von der Universität Regensburg, die seit vielen Jahren zu RNAi und ihrem Potenzial für den Pflanzenschutz forscht. „Wenn die Technologie ausgereift ist, dann ist sie in der Breite anwendbar. Die technischen Limits wie bei der Gentechnik haben wir bei den Sprays nicht.“

Doch bis dahin muss sich die Forschung noch mit einer Reihe von Fragen beschäftigen.

Wie erreicht die blockierende RNA-Sequenz die Zielgene? Bei kauenden oder beißenden Insekten nimmt der Schädling die RNA direkt mit dem Pflanzenmaterial auf. Dafür muss sie eine Zeitlang auf der Blattoberfläche haften, doch wie stabil ist die RNA nach der Aufnahme durch den Schädling? Übersteht sie dort die Magen-Darm-Passage? Erreichen die zu einer Blockade fähigen RNA-Schnipsel überhaupt ihr Ziel? Bei saugenden Insekten wie etwa Blattläusen oder erst recht bei pathogenen Pilzen sind die Bedingungen für die Aufnahme und Stabilität der RNA noch einmal komplexer. „Wir müssen die verschiedenen Barrieren und Hürden kennen, die es zu nehmen gilt. Ich sprüh das mal und es funktioniert bei jeder Pflanze, so trivial ist es natürlich nicht“, sagt Aline Koch.

Was sind geeignete Zielgene, um Schädlinge oder Erreger wirksam und selektiv auszuschalten? Die effektivsten Ziele für eine RNAi-Blockade – in der Regel Gene für „lebensnotwendige“ Schlüsselproteine – sind oft solche, die auch in anderen Insekten vorkommen. Ein dagegen gerichtetes RNA-Spray würde nicht nur den jeweiligen Schädling treffen, sondern weitere Nicht-Zielorganismen, etwa nützliche Insekten. Um die erforderliche Spezifität und Selektivität herzustellen, müssen geeignete Zielgene gefunden werden, deren Blockade nicht nur schnell zum Absterben des jeweiligen Schädlings führt. Sie dürfen zudem nicht in anderen Organismen vorkommen oder dort von der RNA-Sequenz im Spray nicht erreichbar sein. „Ein Ansatz könnte sein, mehrere artspezifische Zielgene anzusteuern und sie in einem RNA-Spray zu kombinieren. Wir wollen so das Selektivitätslevel sukzessive erhöhen, statt auf die effektivsten Targets zu gehen, die im Labor funktionieren.“

Welche unerwünschte Nebenwirkungen könnte es geben? Wie sich in den Sprays enthaltenen RNA-Sequenzen in der Umwelt verhalten, wie stabil sie unter besonderen Bedingungen sind, und ob sie möglicherweise nicht nur die jeweiligen Zielorganismen schädigen, sondern auch andere, wird in verschiedenen Forschungsprojekten untersucht.

So hat sich eine schwedisch-britische Studie erstmals damit beschäftigt, ob sich aufgesprühte RNA – in diesem Fall gegen Fusarium-Pilze bei Weizen – auf die Mikroorganismen-Gemeinschaften auswirken, die auf der Oberfläche von Getreidepflanzen leben. Es zeigte sich, dass die Behandlung nur zu geringfügigen Veränderungen in der Diversität und Struktur der Bakteriengemeinschaften führte und die Pilzgemeinschaften relativ unverändert blieben. „Sprühinduzierten Gen-Silencing hat das Potenzial, den Pflanzenschutz mit minimalen ökologischen Auswirkungen zu revolutionieren“, so der Projektleiter Ramesh Vetukuri.

Bienen Varroa-Milbe

Die Varroa-Milbe. Ein RNA-Spray gegen den gefürchteten Bienen-Parasit ist in den USA im Zulassungsverfahren.

Foto: Scott Bauer USDA-ARS Bugwood org

Kartoffelkäfer, Varroa-Milbe: Erste RNA-Sprays vor der Markteinführung

Inzwischen sind die Kosten für die Produktion synthetischer RNA-Sequenzen für die Sprays „dramatisch gefallen“, von mehreren Tausend auf weniger als einem Dollar je Gramm DNA. Erste kommerzielle Anwendungen zeichnen sich ab, vor allem gegen Käfer sowie andere kauende und beißende Insekten, die besonders sensitiv auf RNA-Sprays reagieren.

Greenlight Bioscience, ein junges US-amerikanisches Unternehmen aus Boston, hat für seinen RNA-Spray (Produktname Calantha) gegen den Kartoffelkäfer (Colorado Beetle) im Dezember 2023 von der US-Umweltbehörde EPA eine auf zunächst drei Jahre befristete Zulassung erhalten. Auch in der EU wurden damit bereits umfangreiche Feldversuche durchgeführt.

Das Unternehmen hat eine Technologie-Plattform entwickelt, mit der – ähnlich wie bei den RNA-Impfstoffen – RNA-Sequenzen für verschiedene Anwendungen in der Landwirtschaft hergestellt werden können. In der Pipeline befinden sich RNA-Sprays gegen Rebenmehltau, Grauschimmel (Botrytis), und Fusarium – Pilzkrankheiten, die viele Kulturarten, besonders Getreide befallen – und derzeit vor allem mit chemischen Mitteln bekämpft werden. Einige dieser RNA-Sprays wurden bereits in Feldversuchen getestet.

Schon im Zulassungsverfahren befindet sich ein RNA-Spray (Norroa) gegen die Varroa-Milbe, die Honigbienen befällt und eine der Ursachen für Verluste von Bienenvölkern ist. Greenlight hatte das Projekt von Monsanto übernommen und zur Marktreife weiterentwickelt.

Noch ist allerdings nicht klar, wie und nach welchen Kriterien solche RNA-Sprays künftig zugelassen werden sollen. Wenn die Technologie einmal ausgereift ist, können die jeweiligen RNA-Sequenzen in den Sprays rasch und günstig an Schädlinge und Krankheitserreger – oder neu auftretende Varianten – angepasst werden. Langwierige, komplizierte Zulassungsverfahren könnten diesen Vorteil zunichtemachen.

Entscheidend für die Zukunft der RNA-Sprays ist: Sie müssen selektiv wirksam sein – also ausschließlich den jeweiligen Schädling oder Krankheitserreger ausschalten, ohne andere Organismen zu schädigen. Wenn das gelingt, hätten RNA-Sprays tatsächlich das Zeug dazu, Pflanzenschutz und artenreiche Agrarlandschaften miteinander zu versöhnen.

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