Biene auf Rapsblüte

Weniger Pestizide, mehr Artenvielfalt. Was biotechnologischer Pflanzenschutz dazu beitragen kann

Bis 2030 will die EU den Einsatz „chemischer Pestizide“ in der Landwirtschaft halbieren. Außerdem soll weniger gedüngt werden, der Öko-Landbau deutlich zunehmen und mehr Flächen unter Naturschutz gestellt werden. Doch wie soll das gehen: Auch in Zukunft genug Lebensmittel zu produzieren, aber zugleich weniger Ressourcen und Flächen zu verbrauchen? Mit den alten Konzepten wird das kaum gelingen. Doch inzwischen zeichnen sich die Konturen eines neuen biologischen Pflanzenschutzes ab. Er basiert auf dem enorm gewachsenen molekularbiologischem Wissen und nutzt Erkenntnisse aus der Gen- und Pflanzenforschung.

Weltweite Ernteverluste durch Krankheiten und Schädlinge, 2016/17

Weltweite Ertragsverluste durch Schädlinge und Krankheiten.

Häufigkeit von Pflanzenschutzanwendungen, Deutschland 2020, JKI

So häufig wird in Deutschland gespritzt - vor allem gegen Pilzkrankheiten.

Grafiken: i-bio, großes Foto oben: iStock / K_Thalhofer

Pflanzenschutzmittel – etwas abwertend meist Pestizide genannt – gelten heute als Übeltäter: Sie sollen die Ursache sein für Insektensterben, weniger Singvögeln und einen dramatischen Rückgang der Artenvielfalt. Viele Wirkstoffe der Pflanzenschutzmittel seien länger im Boden und in Gewässern nachweisbar als erwartet, mahnte eine Expertengruppe der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Besonders langfristige Auswirkungen auf die Ökosysteme würden heute nicht ausreichend untersucht.

Der chemische Pflanzenschutz ist in Verruf geraten. Große Teile der Politik und der Gesellschaft wollen eine Agrarwende „ohne Chemie“. So hat sich der Green Deal der EU mit einer ambitionierten Biodiversitätsstrategie das Ziel gesetzt, bis 2030 den Einsatz „chemischer Pestizide“ zu halbieren. Doch wie das ohne einen Rückgang der Erträge – und als Folge davon weiter steigende Agrarimporte – erreicht werden soll, ist bisher unklar. Noch immer ist das Spritzen – wenn auch zurückhaltender und mit besseren Wirkstoffen als noch vor Jahren – notwendig, um Schädlinge und Pflanzenkrankheiten in Schach zu halten. Ein radikales, schnelles Verbot würde zu drastischen Ertragseinbußen führen.

Auch die „natürliche“ Alternative, der ökologische Landbau, kommt nicht ohne Pflanzenschutzmittel aus. Zahlreiche Wirkstoffe – einige durchaus problematisch – sind dafür zugelassen. So setzen Öko-Landwirte bei einigen Pilzkrankheiten, etwa Wein, Kartoffeln und im Obstanbau, umweltbelastende Kupferpräparate ein, die sich im Boden anreichern und dort für viele Organismen giftig sind. Einige Schädlinge werden mit „biologischen“ Bt-Präparaten bekämpft, die den gleichen Wirkstoff enthalten, wie er auch in gentechnisch verändertem Bt-Mais aktiv ist.

Das größte Manko: Die Erträge im ökologischen Landbau bleiben deutlich hinter denen des konventionellen Anbaus zurück. Je nach Kulturart sind es zwischen 40 und 70 Prozent weniger. Um die gleichen Erntemengen zu erzielen, benötigen Bio-Landwirte deutlich mehr Flächen als ihre konventionell wirtschaftenden Kollegen.

Wenn in Deutschland und der EU die Öko-Landwirtschaft wachsen soll, reicht es nicht, einfach die Anbauweise umzustellen. Denn mehr Öko bedeutet mehr Flächen – doch die sind knapp. Wenn nicht noch mehr Agrarproduktion in andere Länder verlagert werden soll, wird vor allem der Nutzungsdruck auf die hiesigen Wald- und Naturschutzgebiete zunehmen – zu Lasten der Artenvielfalt. „Nachhaltige Intensivierung“ hat der Weltklimarat (IPCC) deswegen als großes strategisches Ziel vorgegeben. Gemeint sind landwirtschaftliche Systeme, die genug produzieren, um alle auf der Welt gut und ausreichend zu ernähren, ohne mehr Flächen und natürliche Ressourcen zu verbrauchen – und das alles unter den sich ändernden klimatischen Bedingungen.

Einfach so weiter machen wie bisher, wird dafür nicht reichen. Es braucht einen fundamentalen Systemwechsel – für die Landwirtschaft insgesamt, aber auch für Pflanzenschutz und Pflanzenzüchtung. Das lange bewährte Rezept, immer wieder neue – und bessere – chemisch-synthetische Wirkstoffe zu entwickeln, ist an seine Grenzen gestoßen.

Auch die herkömmliche Pflanzenzüchtung allein wird die politisch erwünschte Wende nicht schaffen. Schon immer haben Züchter versucht, Pflanzen widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge zu machen. Oft mit Erfolg, allerdings nicht immer von Dauer. Geeignete Resistenz-Gene im Genpool einer Kulturpflanze zu finden und sie dann in gängige, standortangepasste Sorten einzukreuzen, braucht viel Zeit, manchmal bis zu 15 Jahre. In einigen Fällen gibt es bis heute keine resistenten Sorten - vor allem gegen Pilzkrankheiten. Zudem haben es viele Schädlinge und Erreger mit der Zeit geschafft, die eingezüchteten Resistenzen zu überwinden.

Intensiver und nachhaltiger zugleich - die Landwirtschaft muss sich grundlegend verändernd. Dabei werden moderne Pflanzenzüchtung, Molekularbiologie, Genomik und neue biotechnologische Verfahren eine wichtige Rolle spielen.

(1) Mit der Gen-Schere CRISPR/Cas zu einem biologischen Pflanzenschutz

Neue Genome Editing-Verfahren - vor allem die Gen-Schere CRISPR/Cas - können dazu beitragen, besser und schneller Pflanzen zu entwickeln, „die gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger sind“ und mit weniger „Pestiziden“ auskommen. Manchmal werden überhaupt erst damit resistente Sorten möglich.

Der Bericht der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der EU-Kommission über den Anwendungsstand von Genome Editing bei Pflanzen – hier als Neue genomische Technologien (NGT) bezeichnet – führt weltweit allein 127 Projekte auf, die eine bessere Toleranz gegen biotischen Stress zum Ziel haben. Die ersten stehen kurz vor der Kommerzialisierung, 43 befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium (Stand 2024).

Solche neuen Resistenz-Konzepte sind nur möglich, wenn die Interaktionen zwischen Pflanzen und ihren „Feinden“ auf molekularer Ebene erforscht sind und man den genetischen Hintergrund kennt. Daraus ergeben sich die Ziele im Pflanzengenom, an denen dann gezielte Mutationen herbeigeführt werden - zugunsten der Pflanze und zulasten der Erreger. Oft reicht es aus, mit Hilfe von Genome Editing einzelne DNA-Bausteine im Erbgut der Pflanze „umzuschreiben“, um ihren Widersachern den Zugang zu den Pflanzenzellen zu versperren. In anderen Fällen können die Nutzpflanzen dazu gebracht werden, die Vermehrung eingedrungener Viren zu unterbinden oder die Wirkung krankmachender Pilze abzuschwächen.

Ein anderer Ansatz ist es, die natürliche „Immunantwort“ der Pflanzen zu verstärken. Man weiß inzwischen, dass Pflanzen nach einer Erstinfektion bestimmte Proteine bilden, mit denen die jeweiligen Erreger abgewehrt werden können – jedoch oft schwach und zeitlich verzögert. Wird die Bildung dieser Abwehrproteine verstärkt, etwa durch gezielte Mutationen an den Steuersignalen (Promotoren), setzt die Immunantwort effektiver und schneller ein – die Pflanze kann die Infektion besser und mit weniger Ertragsausfällen überstehen.

42 der in dem JRC-Bericht aufgeführten Projekte zu einer besseren Stresstoleranz gegen Schädlinge und Krankheiten beschäftigen sich mit Getreidearten, vor allem Reis, 21 mit Öl- und Faserpflanzen, 18 mit Frucht- und 13 mit Gemüsearten. Bei Bananen, Zitrusfrüchten, Gerste und vor allem Weizen eröffnet Genome Editing endlich eine realistische Perspektive, etwas gegen hartnäckige, weltweit grassierende Krankheiten unternehmen zu können, die Jahr für Jahr einen Teil der Ernten verschlingen. Wenn die neuen Konzepte funktionieren, können erhebliche Mengen „chemischer Pestizide“ eingespart werden – und anders als bei der klassischen Gentechnik müssen auch keine „fremden“ Gene eingeführt werden.

(2) Mikroben machen Pflanzen stark

Inzwischen beschäftigen sich Forschende überall auf der Welt mit einem weiteren biologischen System außerhalb der Pflanzen – dem Mikrobiom. Darunter versteht man die Gesamtheit aller Mikroorganismen und die Wechselwirkungen zwischen ihnen. Für den Pflanzenschutz interessant ist etwa das Mikrobiom im wurzelnahen Boden. Bestimmte Bakterien oder Pilze helfen Pflanzen bei der Nährstoffaufnahme oder fixieren Stickstoff, andere schützen die Pflanze vor Kälte oder Trockenheit. Mikrobielle Stoffwechselprodukte verbessern die Widerstandskraft der Pflanzen gegen Schädlinge und Krankheiten und erhöhen so ihre Vitalität.

Vor allem dank der heute extrem leistungsfähigen Analyse- und Sequenzierverfahren verstehen die Wissenschaftler immer mehr über die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und dem sie umgebenden Mikrobiom. Schon jetzt nutzen Züchter solche Erkenntnisse für praktische Anwendungen (Biologicals), etwa wenn Saatgut mit einer Trägerschicht umhüllt wird, in der verschiedene, für die jeweilige Pflanzensorte nützliche Mikroorganismen eingepackt sind.

Noch ist der kommerzielle Einsatz von funktionalen Mikroorganismen ganz am Anfang, doch immer mehr Start-ups verfolgen diesen Ansatz. Ein erstes Produkt mit genom-editieren Bakterien, die Stickstoff fixieren und die Pflanzen besser mit Nährstoffen versorgen, wird in den USA bereits von Landwirten eingesetzt.

Auch Bio-Fertilizer, meist mit maßgeschneiderten Mikroorganismen (Präzisionsfermentation) hergestellt, werden in naher Zukunft als Alternativen zu Kunstdünger verfügbar sein.

(3) Mit RNA eine „Immunantwort“ der Pflanzen stimulieren

Ein weiterer innovativer Ansatz nutzt einen natürlichen Schutzmechanismus der Pflanzen. Mit der sogenannten RNA-Interferenz (RNAi) kann eine Zelle einzelne Gene abschalten und so Genaktivitäten regulieren. Auf diese Weise werden nur solche Gene in Proteine übersetzt, welche die Zelle zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich benötigt. Da dieses Abschalten von Genen auch bei fremden Organismen funktioniert, etwa Viren oder Schädlingen, lässt es sich für den Pflanzenschutz nutzen.

Werden Pflanzen durch eingefügte Genkonstrukte dazu gebracht, ein bestimmtes RNA-Fragment zu bilden, das genau zu der RNA eines Virus oder Schädlings passt, wird diese Sequenz „neutralisiert“. Die Folge: Die darin codierte Information kann nicht „abgelesen“ werden und das betroffene Gen wird nicht in das entsprechende Protein umgesetzt. Ist es für den Eindringling lebensnotwendig, stirbt er oder kann sich nicht mehr vermehren. Bei Bohnen, Kartoffeln und Reis haben Forscherteams zeigen können, dass das RNAi-Konzept grundsätzlich funktioniert. In den USA ist ein Mais (MON87411) für den Anbau zugelassen, dessen Resistenz gegen den Maiswurzelbohrer auf einem in der Pflanze gebildeten RNAi-Fragment basiert.

Inzwischen hat sich gezeigt, dass der RNAi-Mechanismus auch dann wirksam ist, wenn zum Ziel passende RNA als Spray auf Pflanzen gesprüht und dort von den jeweiligen Schädlingen oder Krankheitserregern aufgenommen wird. In den USA werden bereits RNA-Sprays gegen den Kartoffelkäfer im Feld getestet und schon bald auf den Markt kommen. In der Pipeline befinden sich RNA-Sprays gegen Grauschimmel (Botrytis), Mehltau und Fusarium – Pilzkrankheiten, die viele Kulturarten, besonders Getreide befallen. Noch in einem frühen Forschungsstadium befinden sich Projekte gegen Schädlinge und Krankheitserreger bei Mais, Sojabohnen, Raps, Reis, Bananen und Weinreben. Solche Sprays herzustellen ist weitaus weniger aufwändig als die jeweiligen RNA-Fragmente von den Pflanzen selbst bilden zu lassen. Diese müssten zudem nach den komplizierten Gentechnik-Gesetzen zugelassen werden, während die RNA-Sprays rechtlich als Pflanzenschutzmittel gelten.

Anders als bei der bisherigen Gentechnik, aber auch anders als herkömmliche Pflanzenschutzmittel, sollen die neuen „biologischen“ Ansätze sehr genau wirken: Sie greifen nur die jeweiligen Zielorganismen an, ohne Streuverluste und Nebeneffekte. Noch ist einiges an Forschung nötig. Doch am Ende wird nicht nur die biologische Vielfalt auf den Agrarflächen davon profitieren.

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