Seid nicht so neugierig. Niedersachsens Schulen sind jetzt gentechnik-frei
Rot und Grün haben ihre Koalition in Niedersachsen schnell und geräuschlos ausgehandelt. Wenn nicht noch einer der Abgeordneten bei der Abstimmung bockt, dann wird Stephan Weil Ministerpräsident, der Diplom-Sozialwirt und „Bauernschreck“ Christian Meyer Agrarminister und Niedersachsen „gentechnik-frei“. Und das bezieht sich nicht nur auf die Felder, sondern auch auf „Schulen und öffentliche Einrichtungen“. Damit ist wohl auch das Schicksal von HannoverGEN besiegelt, ein von der bisherigen Landesregierung gefördertes Projekt, bei dem Schülerinnen und Schüler in Biotechnologielaboren selbständig experimentieren können.
Noch 2011 wurde HannoverGEN als „ausgewählter Ort“ im bundesweiten Wettbewerb „Land der Ideen“ ausgezeichnet. Doch inzwischen ist der gute Ruf ruiniert. Im Wahlkampf haben Grüne, SPD im Verein mit Greenpeace und AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) das Projekt zu einem finsteren Ort hochstilisiert, wo durchtriebene Wissenschaftler und Lobbyisten ahnungslose Schüler „unterschwellig“ zu Gentechnik-Befürwortern machen. Nichts als ein „Gentechnik-Werbe-Projekt“, wo „unter dem Deckmantel der Aufklärung“ „Akzeptanzbeschaffung für Agro-Gentechnik“ betrieben werde. „Das ist ein Skandal“, skandierte Greenpeace Hannover auf allen medialen Kanälen. Und die AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) erkor die Forderung, HannoverGEN zu beenden, sogar zu einem ihrer Wahlprüfsteine. Alle Grünen und die meisten SPD-Landtagskandidaten gaben die von ihnen erwarteten Antworten und gelobten: „Ja, ich will mich dafür einsetzen, dass sich Niedersachsen zum agrogentechnikfreien Bundesland erklärt – auf dem Acker, in öffentlichen Einrichtungen und in den Schulen.“ Auch SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil legte sich vor der Wahl auf eine „Nulltoleranz für Gentechnik“ fest, ohne genauer zu erklären, wen oder was er damit meinte.
Gentechnik war eines der Themen, mit dem sich die Opposition gegen die CDU/FDP-Landesregierung zu profilieren versuchte. Da kam HannoverGEN gerade recht.
Es kümmerte die Wahlkämpfer für gentechnik-freie Schulen in Niedersachsen wenig, was die Schüler selbst über ihre „Experimente im Genlabor“ sagten. Da hätten sie von einem „interessanten und informativem Experimentiertag“, von „kritischen Diskussionen“ und „ethischer Bewertung“ lesen können (Erich Kästner-Gymnasium Hannover), oder von den „Schülerreportern der Schillerschule“, die „über die Experimente in den Genlaboren und über die Genforschung berichten, sich aber auch kritisch mit der Thematik auseinandersetzen“. Zwischen 2008 und 2011 haben 6000 Schüler an Kursen und Veranstaltungen von HannoverGEN teilgenommen –und zahlreiche Lehrer.
Wenn nun die neue Landesregierung das Projekt beendet, wird mehr kaputt gemacht als die Labore an den vier Stützpunktschulen. Es spielt keine Rolle mehr, was die Schüler dort tatsächlich machten, welche Experimente sie durchführten oder wie sie über Möglichkeiten und Grenzen gentechnischer Verfahren diskutierten. Es interessiert auch nicht, dass sich die Schüler mit konkreten GVO-Produkten wie der Amflora-Kartoffel oder dem Bt-Mais MON810 beschäftigten und am Ende zu ganz unterschiedlichen, aber „informierten“ Bewertungen kamen. Und es ist nicht der ein oder andere Satz, den die Kreuzritter gegen die Gentechnik in den umfangreichen Materialien von HannoverGEN mit großer Empörung aufgespießt haben (etwa in dieser „Hintergrundstudie“), sondern ihnen passt die Richtung nicht: Selbstbewusste Schüler, die zur eigenen Urteilsbildung fähig sind – und das auch noch als ihr Recht beanspruchen.
Die Anti-Gentechnik-Szene und mit ihr SPD und Grüne haben um die Gentechnik eine moralische Tabuzone errichtet, die sie mit Verboten und Verhaltensmaßregeln absichern:„Das darfst Du nicht“, „Das hat Dich nicht zu interessieren“, „Lass die Finger davon“. Die Neugierde auf Naturwissenschaft und Technik, die ein Tag mit eigenen Experimenten im Labor wecken kann, die Diskussionen darüber, ob und wie gentechnische Verfahren in der Pflanzenzüchtung dazu beitragen können, Probleme zu lösen – kleine überschaubare wie die Herstellung von Insulin mit gv-Bakterien oder große, globale wie eine nachhaltige Landwirtschaft in den Zeiten des Klimawandels – das alles soll erst gar nicht zugelassen werden. Aber das Gentechnik-Tabu funktioniert nur, solange sich niemand selbst ein Bild davon machen kann, ob es gerechtfertigt ist. Das Aus für HannoverGEN verwehrt den Schülern, aus eigener Anschauung zu urteilen.
Die neue Regierung in Hannover ist stolz darauf, dass sie Niedersachsen gentechnik-frei gemacht hat, auch die Schulen und öffentlichen Einrichtungen. Das Leitbild der schulischen Erziehung ist nun offenbar der unmündige, folgsame grüne Spießbürger.
(Noch mal zu Erinnerung die berühmten Sätze von Immanuel Kant: “Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen.”)