Gentechnik im Bundestag: Die Verbieter überbieten sich
(22.05.2014) Der Bundestag hat sich gestern mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen für die „Selbstbestimmung der Mitgliedsstaaten beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen“ ausgesprochen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „die Möglichkeiten zum nationalen Ausstieg rechtssicher zu verankern“. Ein weitergehender Antrag von Bündnis90/Die Grünen und der Linken, der im Kern auf ein dauerhaftes, pauschales Verbot der Grünen Gentechnik hinauslief, fand bei der namentlichen Abstimmung keine Mehrheit. Der grüne Abgeordnete Harald Ebner warf Bundeskanzlerin Angela Merkel „Wahlbetrug“ und „Täuschung“ vor.
Harald Ebner (Büdnis 90/Die Grünen): „Die bekennende Gentech-Freundin Merkel macht sich zur willigen Lobby-Erfüllungsgehilfin und ist bereit, die Bürgerinnen und Bürger arglistig zu täuschen.“
Kees de Vries (CDU): „Wir plädieren dafür, dass die Forschungsfreiheit zum Thema GVO in Deutschland erhalten bleibt. Durch Forschung können wir dafür sorgen, dass Ängste der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Gentechnik abgebaut werden.“
Fotos: Mediathek Deutscher Bundestag; Debatte 22.05.2014
Fotos Startseite: Deutscher Bundestag / Marc-Steffen Unger
Schon einige Tage vorher hatte Angela Merkel eine Wende in der Gentechnik-Politik ihrer Regierung angedeutet. Zwar hätten Gutachten immer wieder bestätigt, dass der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen wissenschaftlich unbedenklich sei, so Merkel in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung (20.05.2014). Doch es „gebe auf lang absehbare Zeit keine politischen Mehrheiten für die Anwendung der Gentechnik“. Dem müsse die Bundesregierung Rechnung tragen.
Bereits auf ihrem Parteitag Anfang April war auch die CDU auf die Linie von SPD und CSU eingeschwenkt. Damit war klar, dass sich nun auch Deutschland bei der im Juni angesetzten Entscheidung im EU-Ministerrat grundsätzlich für nationale Anbauverbote aussprechen wird. Die Sperrminorität, die bisher eine Ausstiegsklausel verhindert hatte, war damit auseinandergebrochen.
Wie im Einzelnen solche nationalen Verbote begründet und umgesetzt werden sollen, ist bisher nicht geklärt. Derzeit verhandeln die Mitgliedsländer unter Führung der griechischen Ratspräsidentschaft mit Nachdruck an einer Lösung, die sowohl im Ministerrat wie im EU-Parlament die erforderlichen Mehrheiten finden kann.
Auch der von den Fraktionen der Großen Koalition eingebrachte Antrag legt sich im Einzelnen nicht fest. Die Bundesregierung wird aufgefordert, das „Selbstbestimmungsrecht der Mitgliedsstaaten zu stärken“ und „Möglichkeiten zum nationalen Ausstieg aus dem GVO-Anbau rechtssicher zu verankern“. Ein solcher Ausstieg solle „ohne Angabe von neuen objektiven Gründen jederzeit möglich sein“.
Ein pauschales Verbot der Grünen Gentechnik ist das nicht. In Zukunft wird jedes Land für jede einzelne Pflanze neu entscheiden müssen, ob es ihren Anbau untersagt oder einschränkt. Bisher ist unklar, ob solche Verbote in Deutschland landesweit gelten sollen oder ob jedes Bundesland das für sich festlegen kann. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) kündigte im Bundestag an, er wolle dazu rasch eine Rechtsgrundlage erarbeiten.
Grünen und Linken ging das alles nicht weit genug. Sie hatten einen eigenen Antrag eingebracht und eine namentliche Abstimmung verlangt. Er zielt darauf ab, dass keine gv-Pflanzen in der EU mehr zugelassen werden. Dazu müsse das Zulassungsverfahren weiter verschärft werden. Die Anforderungen sollen so hoch geschraubt werden, dass neue Zulassungen in Europa nahezu aussichtslos sind. Bis ein neues Zulassungsverfahren etabliert sei, soll nach Meinung der Oppositionsfraktionen ein Moratorium gelten. Schon heute ist das EU-Zulassungsverfahren für gv-Pflanzen und daraus hergestellte Lebens- und Futtermittel das restriktivste der Welt.
Kurz vor den Wahlen zum Europaparlament nutzten Grüne und Linke die Debatte für scharfe Angriffe auf die Regierung. „Merkel und ihre Koalition inszenieren dreist den ganz großen Gentechnik-Ausstiegs-Betrug“, so der grüne Abgeordnete Harald Ebner. Die linke Abgeordnete Kirsten Tackmann bezeichnete die Ausstiegsklausel als „vergiftetes Angebot“.
Ebner sprach vor dem Bundestag von einem „Scheinverbot“, das sich als „Hintertür für mehr Gentechnik in Deutschland entpuppen“ werde. Es drohe eine „Zulassungsflut“, da mit der Möglichkeit für nationale Ausstiege die jahrelange politische Blockade in der EU, die bisher Zulassungsbeschlüsse verhindert hat, überwunden werden könnte. Was die Koalitionsfraktionen beschlossen haben, „entspricht exakt dem Plan der Gentechnik-Industrie“, so Ebner.
Bei der namentlichen Abstimmung über beide Anträge gab es kaum Abweichler: 458 Abgeordnete stimmten für den Koalitionsantrag, nur 107 für den von Grünen und Linken.