Die nächste Runde: Volksabstimmung über Gentechnik-Kennzeichnung in Washington
(15.10.2013) Am 4. November stimmen die Bürger des nordwestlichen US-Bundesstaates Washington über eine gesetzliche Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel ab. Wird die Initiative I-522 angenommen, wäre es der erste politische Erfolg für die Kennzeichnungsbefürworter. Weitere US-Bundesstaaten könnten folgen und so eine Gentechnik-Kennzeichnung für die gesamte USA durchsetzen. In Washington geht es um mehr als einen lokalen Konflikt - und wie schon bei einer ähnlichen Abstimmung in Kalifornien vor einem Jahr versuchen beide Seiten mit großem Aufwand, die Mehrheit für sich zu gewinnen.
Aufwändige Kampagnen: Ja und Nein zu I-522
The ABCs of GMOs: Die seriösen Medien versuchen, sachlich zu informieren, worum es bei der Abstimmung geht.
Kennzeichnung mit vielen Ausnahmen
Wird I-522 angenommen, dann müssen ab dem 01. Juli 2015 im US-Bundesstaat Washington Lebensmittel gekennzeichnet werden, wenn sie ein GVO (gentechnisch veränderter Organismus) sind oder daraus hergestellt werden: Frische Agrarprodukte als „genetically engineered“, verarbeitete Produkte als „partially produced with genetic engineering“.
Es soll jedoch zahlreiche Ausnahmen geben. Nicht kennzeichnungspflichtig sind etwa:
tierische Lebensmittel, wenn die Tiere gentechnisch veränderte Futtermittel erhalten haben;
Lebensmittel, bei denen der Hersteller ohne es zu wissen oder zufällig gv-Pflanzen verwendet hat;
wenn ein verarbeitetes Lebensmittel ein oder mehrere Zusatzstoffe oder Enzyme enthält, die mit gv-Mikroorganismen hergestellt wurden;
wenn alle Zutaten aus GVO eines Lebensmittels nicht mehr als 0,9 Gewichtsprozent betragen (Übergangsfrist bis 01. Juli 2019).
Im November 2012 lehnten die Bürger in Kalifornien eine Kennzeichnung für gentechnisch veränderte Lebensmittel mit einer knapper Mehrheit von 51,4 Prozent ab. Seitdem hat die Just Label it-Kampagne weiter Zulauf gefunden. Inzwischen sind in dreißig US-Bundesstaaten entsprechende Gesetzesinitiativen eingebracht. In den Ostküsten-Staaten Connecticut und Maine wurden sie von den Parlamenten angenommen. Allerdings mit einem Vorbehalt: Sie werden erst dann wirksam, wenn weitere vier bzw. fünf benachbarte Bundesstaaten ebenfalls Kennzeichnungsvorschriften einführen.
Bei Umfragen liegen in Washington derzeit die Befürworter deutlich vorn. Ihre eingängige Forderung, jeder Konsument habe ein Recht zu wissen (Right to know), wie Lebensmittel erzeugt werden, trifft offenbar auf viel Sympathie. Doch ähnlich wie in Europa haben mit der wachsenden medialen Resonanz auch die Zweifel zugenommen, ob denn gentechnisch veränderte Lebensmittel tatsächlich so sicher und gesundheitlich unbedenklich sind, wie es Wissenschaftler und Industrie behaupten. Viele wollen auch über die Kennzeichnung den Einfluss der großen Agrarkonzerne wie_Monsanto_ auf die Ernährung brechen.
Unterstützt wird die Yes on 522-Kampagne von großen Organic Food-Ketten und Unternehmen wie dem Seifenhersteller Dr. Bronner’s Magic Soap. Mit derzeit 6,3 Mio. Dollar verfügt sie jedoch über weitaus geringere Mittel als die Gegenseite mit 17,2 Mio. Dollar - so viel wie noch nie bei einer Volksabstimmung in Washington. Unterstützt wird No 522 vor allem von den großen Agro-Konzernen wie Monsanto, Bayer, DuPont Pioneer, Dow AgroScience und dem Verband der Lebensmittelwirtschaft. „Eine Kennzeichnung legt dem Konsumenten fälschlicherweise nahe, dass Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Zutaten irgendwie anders, unsicher oder gesundheitsgefährdend seien,“ so Brian Kennedy von der Grocery Manufactors Association. Auch viele Wissenschaftler haben sich öffentlich gegen eine Kennzeichnung ausgesprochen. Damit werde eine Technologie pauschal diskreditiert, auf die angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und knapper werdender Ressourcen in der Pflanzen- und Agrarforschung nicht verzichtet werden könne.
Kurz vor dem Abstimmungstermin wird in Washington vor allem darüber gestritten, ob eine Kennzeichnungspflicht zwangsläufig höhere Lebensmittelpreise mit sich bringen würde. In Kalifornien hatte vor allem dieses Kostenargument die Pro Label-Mehrheit kippen lassen. Auch in Washington stellt die Gegenseite nun diesen Aspekt in den Vordergrund. Wegen des zusätzlichen Aufwands für eine Trennung der Warenströme und ihre Überwachung müsste eine vierköpfige Familie im Jahr 450 Dollar mehr für Lebensmittel bezahlen, hatten die No 522-Kampagne vorgerechnet.
Im Grundsatz bestätigte das auch ein offizieller Report der Washington Academy of Science. Jedoch sei es derzeit nicht möglich, die Mehrkosten genauer zu beziffern, da es in den USA dazu keine praktischen Erfahrungswerte gebe. Die Finanzbehörden in der Hauptstadt Olympia haben ermittelt, dass die Umsetzung der Kennzeichnungsgesetze in den nächsten sechs Jahren etwa 3,4 Mio. Dollar kosten würde.
Bisher gibt es in den USA keine Vorschriften zur Kennzeichnung von gv-Lebensmitteln, da sie sich - so die Begründung der Behörden - von konventionellen nicht substanziell unterschieden. Für die Sicherheit der Produkte sind die Unternehmen selbst verantwortlich. Eine wissenschaftliche Überprüfung durch die Lebensmittelbehörde FDA ist bisher nur freiwillig. In der aktuellen Auseinandersetzung gehe es vor allem darum, das Vertrauen der Konsumenten in die Sicherheit der Lebensmittel nicht zu verspielen, so Georgy Jaffe, Leiter des Biotechnologie-Programms des Centers for the Science in the Public Interest. Die FDA sollte daher gesetzlich verpflichtet werden, die Sicherheit von gv-Lebensmitteln nach anerkannten wissenschaftlichen Standards zu überprüfen, bevor sie auf den Markt dürfen.
Washington ist der nordwestlichste Bundesstaat der USA. Die Einwohnerzahl beträgt 6,7 Mio. Hauptstadt ist Olympia, größte Stadt Seattle.