Chicorée

„Gentechnik in Biomärkten“: ZDF-Magazin kann umstrittenes Züchtungsverfahren nachweisen

(05.08.2013) Bei Untersuchungen in großen Biomarktketten haben sich nach Angaben des ZDF-Verbrauchermagazins WISO knapp die Hälfte der Stichproben bei Biogemüse als „gentechnisch verändert“ herausgestellt. Betroffen waren vor allem Brokkoli, Chicorée und Blumenkohl. Da die WISO-Tester in den Proben „artfremde“ Erbsubstanz nachweisen konnten, stuften sie die jeweiligen Produkte als „gentechnisch verändert“ ein. Die beanstandeten Gemüsesorten sind mit einer speziellen Technik gezüchtet worden. Die daraus hervorgehenden Pflanzen gelten rechtlich zwar nicht als „gentechnisch verändert“. Die meisten Bioverbände lehnen sie jedoch ab.

F1-Hybride Tomaten

Tomaten, Gurken, Möhren, Zwiebeln, Kohl, Chicorée: Hybridsorten sind weit verbreitet. Auch bei den Bio-Anbauverbänden sind sie erlaubt. Nach den verbandsinternen Richtlinien dürfen jedoch mittels Zellfusionstechnik (CMS-Hybride) erzeugte Hybridsorten nicht verwendet werden.

Was sind CMS-Hybride?

Hybridsorten haben einen großen Vorteil: Sie sind in der ersten Generation der Nachkommen deutlich ertragreicher und wüchsiger als aus „normaler“ Kreuzung hervorgegangene Sorten. Um Hydridsorten zu erhalten, benötigt der Züchter zwei reinerbige, möglichst genetisch weit voneinander entfernte Elternlinien.

Bei vielen Kulturarten haben sich aufgrund der Ertragsvorteile Hybridsorten weitgehend durchgesetzt, auch bei Gemüse wie Tomaten, Gurken, Möhren, Chicorée und Kohl.

Um Hybride mit dem erwünschten Mehrertrag zu erhalten, müssen die Züchter gezielt die jeweilige Vater- mit der Mutterlinie kreuzen, Selbstbestäubung jedoch ausschließen. Deshalb darf die Mutterlinie keinen fruchtbaren Pollen bilden. Je nach den biologischen Eigenschaften der jeweiligen Pflanzenart, kann man dies auf verschiedenen Wegen erreichen. Bei Mais z.B. können die männlichen Blüten (Fahnen) abgeschnitten werden, bei Gemüse nutzen die Züchter dafür CMS - Cytoplasmatische männliche Sterilität.

Bei vielen Pflanzenarten kommt es vor, dass einzelne Pflanzen keinen fruchtbaren Pollen bilden. Das Gen für diese Eigenschaft liegt jedoch nicht im Zellkern vor, sondern in der umgebenden Zelle (Cytoplasma). Um diese Sterilitätseigenschaften für die Hybridzüchtung nutzen zu können, werden die Zellen einer Pflanzenart (etwa Chicorée) mit denen einer nahen Verwandten verschmolzen, welche CMS besitzt (etwa Sonnenblume).

Nach dem geltenden Gentechnikgesetz gehört „Zellfusion (einschließlich Protoplastenfusion) von Pflanzenzellen von Organismen, die mittels herkömmlicher Züchtungstechniken genetisches Material austauschen können,“ nicht zu den „Verfahren der Veränderung genetischen Materials“.

Im Auftrag von WISO wurden insgesamt 37 Proben in verschiedenen Filialen der großen Biomarktketten Alnatura, denn´s, Basic, BioCompany und tegut untersucht. Davon waren 17 „positiv“. So konnte in Bio-Blumenkohl und Bio-Brokkoli Erbsubstanz des japanischen Rettichs nachgewiesen werden, in Bio-Chicorée die von Sonnenblume. Die WISO-Redaktion bezeichnet die betroffenen Produkte als „gentechnisch verändert“ und hält den Bioverbänden vor, dass sie damit sowohl gegen ihre eigenen Richtlinien als auch gegen gesetzliche Vorschriften verstießen. Nach der EU-Ökoverordnung ist die Verwendung gentechnisch veränderter Organismen in Bioprodukten verboten.

Allerdings: Ob es sich bei den beanstandeten Biogemüsen tatsächlich um „gentechnisch veränderte“ handelt, ist so eindeutig nicht. Gezüchtet wurden sie mit einer speziellen Technik (CMS-Hybride; siehe Kasten), einem bereits seit längerem angewandten Verfahren. Der Vorteil: Damit ist es möglich, Hybridsorten zu erhalten, die deutlich höhere Erträge liefern - jedoch nur bei der ersten Generation der Nachkommen (F1). Deren Vorteile sind so groß, dass sich bei vielen Obst- und Gemüsearten, aber auch bei Mais, Roggen oder Zuckerrüben Hybridsorten durchgesetzt haben. Bei einzelnen Arten hat Hybrid-Saatgut Marktanteile zwischen 60 und 90 Prozent.

Bei den Bioverbänden sind Hybridsorten zwar umstritten, aber nicht grundsätzlich verboten. Die Verwendung von CMS-Hybriden dagegen - also Sorten, die durch Zellfusionstechniken erzeugt wurden - schließen die deutschen Verbände Demeter, Bioland und Naturland in ihren Richtlinien aus, räumen jedoch ein, dass eine wirksame Kontrolle schwierig sei.

Nach deutschem und europäischem Gentechnik-Recht gelten CMS-Hybride jedoch nicht als „gentechnisch veränderte Organismen“. Sie müssen weder zugelassen, noch gekennzeichnet werden. Auch die EU-Öko-Verordnung schließt eine Verwendung von CMS-Sorten nicht aus: Bei Bioprodukten, die lediglich EU-Standards entsprechen, sind sie ohne Einschränkung zulässig. Vor allem bei Bio-Erzeugern im Ausland sind CMS-Hybride bei Gemüse weit verbreitet.

Die von WISO jetzt in den Biomärkten gefundenen CMS-Gemüsesorten sind dort nach geltenden Gesetzen durchaus erlaubt, nicht jedoch nach den internen Richtlinien der großen deutschen Bioverbände. Nach den ersten Meldungen über die WISO-Untersuchungen räumte Demeter „Fehler“ ein und nahm die betroffenen Produkte umgehend vom Markt.

Sowohl die Bioverbände wie die Biomarktketten stellen gegenüber ihren Kunden immer wieder deutlich heraus, dass sie Gentechnik ablehnen und „garantieren“, dass ihre Produkte ohne den Einsatz der Gentechnik erzeugt werden.

Dass WISO nun CMS-Hybride in Bioprodukten nachweisen konnte, stellt die Branche vor große Glaubwürdigkeitsprobleme. Das Nachweisverfahren, das WISO für seine Tests hat entwickeln lassen, basiert darauf, „artfremde“ Erbsubstanz aufzuspüren. Dennoch waren es nach den inzwischen mehr als zwanzig Jahre alten gesetzlichen Definitionen zwar keine gentechnisch veränderten Organismen, die in den Biomärkten gefunden wurden. Aber nach den eigenen Maßstäben der Biobranche schon - und wohl auch nach den Erwartungen, die viele Konsumenten an Bioprodukten haben.