Auf die lange Bank geschoben: Erst einmal keine Entscheidung über Anbauzulassung für gentechnisch veränderte Pflanzen in der EU
(19.07.2012) In der EU bewegt sich bei der Gentechnik-Politik derzeit nichts. Die tief zerstritten Mitgliedsstaaten neutralisieren sich gegenseitig und blockieren so jede Entscheidung. Mehrere Versuche, die verfahrene Situation zu überwinden, sind gescheitert oder auf die lange Bank geschoben. Nun bleibt alles so wie es ist: Politische Konflikte werden auf dem Feld der wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung ausgetragen. Jüngstes Beispiel: Die Kommission hat fällige Entscheidungen über Anbauzulassungen von drei gv-Maislinien noch einmal an die EFSA zurückverwiesen und damit vor allem Zeit gewonnen.
EU-Verbraucherschutz- kommissar John Dalli: Gibt Stellungnahmen zurück an die EFSA, um Zeit zu gewinnen.
Auch in Deutschland verhindern politische Konflikte innerhalb der Bundesregierung Entscheidungen. Die FDP sperrt sich gegen die vor allem von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) vorangetriebene Änderung des Gentechnik-Gesetzes. Danach sollen die Bundesländer eigene Koexistenz-Regeln beim Anbau von gv-Pflanzen festlegen - etwa Abstandsflächen zischen Feldern mit gv- und konventionellen Pflanzen. Damit könnte der Anbau von gv-Pflanzen faktisch verhindert werden. Auch bei der Haltung zu 0,1-Prozent-Toleranzgrenze für nicht zugelassene GVO in Lebensmitteln können sich CSU und FDP nicht einigen.
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Nach Informationen der Gentechnik-kritischen Gruppe Testbiotech hat die EU-Kommission die wissenschaftlichen Stellungnahmen für die drei gentechnisch veränderten Maislinien MON810, Bt11 und 1507 an die Europäische Behörde EFSA zurückverwiesen. Die Behörde solle ihre Zusammenfassung überarbeiten und neue wissenschaftliche Daten in ihre Stellungnahme einbeziehen. Vor Dezember sei nicht mit einem Abschluss zu rechnen, heißt es. Eine Entscheidung über die Zulassung, die die Kommission eigentlich hätte herbeiführen müssen, ist nun wieder in weite Ferne gerückt.
Nicht zum ersten Mal sind bei diesen gv-Pflanzen wissenschaftliche Aspekte zur politischen Manövriermasse geworden.
Schon 2009 schloss die EFSA die wissenschaftliche Bewertung für den MON810-Mais ab, dessen 1998 erteilte Erst-Zulassung in der EU nach zehn Jahren ausgelaufen war und erneuert werden musste. Außerdem ist MON810-Mais im Zusammenhang mit den von mehreren Regierungen, darunter Frankreich, Deutschland oder Griechenland, verhängten nationalen Anbauverboten überprüft worden. Dabei wurden auch neuere Untersuchungen und Erkenntnisse einbezogen. In allen Stellungnahmen fanden die EFSA-Experten keine wissenschaftlich begründeten Hinweise, dass sich MON810 in der Umwelt anders verhalten könnte als herkömmlicher Mais.
Auch die beiden anderen Maislinien, Bt11 und 1507 sind bereits mehrfach begutachtet worden. 2007 schickte der damalige EU-Umweltkommissar Stavros Dimas die Stellungnahmen an die EFSA zurück, die jedoch 2011 im Kern zu dem gleichen Ergebnis kam. Sie empfahl nun allerdings, beim Anbau dieser gv-Maispflanzen zum Schutz von Schmetterlingen breitere Randstreifen vorzusehen.
Bisher hatte die Kommission die Zulassungsverfahren für die gv-Maislinien MON810, Bt11 und 1507 - ebenso wie für drei weitere GA21, MON88017, NK603 - trotz der abgeschlossenen Begutachtung durch die EFSA ruhen lassen. Sie wollte zunächst den Ausgang der seit 2009 von der Kommission und einigen Mitgliedsstaaten vorangetriebenen Reform der EU-Gentechnikgesetze abwarten. Kern dieses Vorschlages war, dass nationale Regierungen das Recht erhalten sollten, auf ihrem Gebiet den Anbau von gv-Pflanzen trotz einer EU-Zulassung einzuschränken oder zu verbieten.
Nachdem das Vorhaben im Frühjahr an einer Sperrminorität der Mitgliedsstaaten - darunter Deutschland, Frankreich und Spanien - gescheitert war, bleibt alles wie es ist: Die EU-Kommission ist nun verpflichtet, die fälligen Zulassungsentscheidungen herbeizuführen. Der einzige Hebel, um noch einmal Zeit zu gewinnen, ist, die Stellungnahmen zur Prüfung an die EFSA zurückzuschicken.
Damit nimmt die Kommission auch den politischen Druck von den Mitgliedsstaaten, die sich bei der Abstimmung öffentlich für oder gegen eine Zulassung hätten positionieren müssen. Viele Regierungen sind zwar aus politischen Gründen generell gegen den unpopulären Anbau von gv-Pflanzen. Im derzeitigen EU-Rechtssystem können sie diese politischen Motive jedoch nur zur Geltung bringen, wenn sie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung anzweifeln oder Kompetenz und Unabhängigkeit der EFSA-Experten in Frage stellen. Viele nationale Regierungen setzen schon seit langem auf diese Karte und untergraben damit das Vertrauen in ein wissenschaftlich basiertes Zulassungssystem, das sie selbst etabliert haben.
Nun schlägt auch die EU-Kommission den gleichen Weg ein - vor allem um Zeit zu gewinnen. Die Gentechnik-Politik der EU steckt in der Sackgasse. Bei politischen Entscheidungen gibt es keine qualifizierten Mehrheiten - weder in die eine noch in die andere Richtung. Alle Änderungsversuche, etwa eine Re-Nationalisierung beim Anbau von gv-Pflanzen, die Festlegung von Schwellenwerten beim Saatgut oder einer technischen Nachweisgrenze für nicht zugelassene GVO in Lebensmitteln sind gescheitert. Die EU-Kommission muss Gesetze vollziehen, die keinen politischen Rückhalt haben. Es scheint, als setze „Brüssel“ die Gentechnik gegen die Mehrheit der Bevölkerung durch.
Politische Konflikte um die Grüne Gentechnik werden weiterhin auf dem Feld der wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung ausgetragen. Klare, für die Öffentlichkeit nachvollziehbare Entscheidungen sind so nicht zu erwarten, dafür viel Beschäftigung für die EFSA und ihre Experten.