Bald neue Gentechnik-Pflanzen in der EU? Dauerkonflikt zwischen Recht und Politik
(05.06.2012) Die EU-Umweltminister wollen in der nächsten Woche einen letzten Versuch unternehmen, die Entscheidung über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zu überlassen. Scheitert er erneut, muss die EU-Kommission die anstehenden Zulassungen erteilen. Weitere gv-Pflanzen könnten dann zum Anbau freigegeben werden, darunter auch der umstrittene gv-Mais MON810. Doch viele Länder werden die politische Schwäche der EU nutzen, um doch noch de-facto-Verbote durchzusetzen. Umweltverbände und ökologische Landwirtschaft fordern einen Zulassungsstopp.
EU-Verbraucherschutz- kommissar John Dalli: Keine ausreichende Mehrheiten für seinen Vorschlag, die Mitgliedsstaaten über den Anbau gentechnisch veränderten Pflanzen entscheiden zu lassen.
Mais mit Resistenz gegen der Maiwurzelbohrer (MON88017) könnte bald eine Anbauzulassung in der EU erhalten. Die Umweltverträglichkeit dieses gv-Maises ist in einem dreijährigen Forschungsprogramm des BMBF untersucht worden.
Schon seit längerem wollen EU-Verbraucherschutzkommissar John Dalli, aber auch viele Mitgliedsstaaten und eine Mehrheit im Europäischen Parlament die Entscheidung über den Anbau von gv-Pflanzen auf die nationale Ebene zurückverlagern. Doch die Umsetzung ist bisher weder politisch noch rechtlich gelungen. Einige Länder, darunter auch Deutschland, lehnen den Plan strikt ab, da er gegen den gemeinsamen Binnenmarkt und internationale Handelsverträge verstoße.
Zuletzt hatte die dänische Ratspräsidentschaft versucht, die starren Fronten mit einem pragmatischen Vorschlag zu überwinden. Danach sollte der Anbau einer gv-Pflanze in der EU nur dann genehmigt werden, wenn die jeweiligen Unternehmen sich verpflichten, das Saatgut nicht in solchen Ländern zu vermarkten, die das nicht wollen. Zudem sollten einzelne Länder den Anbau aus „sozio-ökonomischen Gründen“ verbieten oder einschränken können. Doch im März fand auch dieser Kompromiss nicht die erforderlichen Mehrheiten.
Noch einmal steht am 11. Juni das Thema auf der Tagesordnung des Umweltministerrats in Luxemburg. Alles andere als ein Scheitern des dänischen Vorschlags wäre eine Überraschung.
Dann bliebe alles, wie es ist: Wie in den vergangenen Jahren werden sich die zerstrittenen Mitgliedsstaaten weiterhin bei jeder Entscheidung neutralisieren, da keine Seite eine qualifizierte Mehrheit hinter sich bringen kann. Die EU-Kommission muss dann ihre in den EU-Verträgen festgelegte Aufgabe wahrnehmen und die geltenden Rechtsvorschriften vollziehen: Danach müssen GVO-Produkte zugelassen werden, wenn sie nach aktuellem wissenschaftlichen Stand sicher sind und bei ihrer Nutzung alle weiteren gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden.
Das gilt auch für eine Reihe von gv-Pflanzen, die auf Anbauzulassungen in der EU warten. Mit Rücksicht auf die noch nicht abgeschlossenen Diskussionen über eine Re-Nationalisierung hatte die Kommission die fälligen Entscheidungen zurückgehalten. Doch dieser Schwebezustand kann nicht beliebig lang aufrecht erhalten werden.
Für sechs gv-Maislinien, für die eine wissenschaftliche Sicherheitsbewertung seit längerem abgeschlossen ist, muss die Kommission nun die Entscheidung herbeiführen und - wenn sich am politischen Patt unter den Mitgliedsstaaten nichts ändert- am Ende die Anbauzulassungen erteilen: Erneut für den erstmals 1998 zugelassenen MON810-Mais sowie für fünf weitere gv-Maislinien mit Resistenzen gegen Herbizide, den Maiszünsler oder den Maiswurzelbohrer, einen sich rapide ausbreitenden neuen Schädling (Events: GA21, 1507, MON88017, NK603, Bt11 von verschiedenen Unternehmen).
Doch ob diese neuen gv-Sorten nach einer Zulassung tatsächlich als Saatgut auf den Markt kommen, scheint fraglich. Einige Gentechnik-skeptische Länder werden versuchen, erneut nationale Anbauverbote zu erlassen und sich dabei auf nicht geklärte Sicherheitsfragen berufen. Auch wenn solche Begründungen angesichts der nach aktuellem Wissensstand erteilten Zulassungen rechtlich fragwürdig sein mögen, kann sich eine gerichtliche Klärung über Jahre hinziehen. Zudem fehlt es der Kommission an politischem Rückhalt, um ihre wenig populären Maßnahmen gegen die nationalen Regierungen durchsetzen zu können.
Inzwischen können nach den 2010 von der Kommission erlassenen „Leitlinien“ die Mitgliedsstaaten den Anbau bestimmter gv-Pflanzen stark einschränken oder ganz verbieten, wenn nur damit die Koexistenz zwischen landwirtschaftlichen Systemen mit und ohne Gentechnik zu gewährleisten ist. Auch in Deutschland sollen die Bundesländer die Mindestabstände zwischen Feldern ausweiten dürfen, sodass ein Anbau von gv-Pflanzen praktisch unmöglich wird. Schon länger hat die Bundesregierung vor, das Gentechnik-Gesetz entsprechend zu ändern. Konkrete Vorschläge will sie jedoch erst dann vorlegen, wenn über mögliche Änderungen auf EU-Ebene entschieden ist. Auch die Interessen der Imker sollen in künftigen Koexistenzvorschriften berücksichtigt werden.
Mehrere Umweltorganisationen und Verbände des ökologischen Landbaus haben in einem offenen Brief Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner und den neuen Bundesumweltminister Peter Altmaier aufgefordert, sich in Brüssel für einen Zulassungsstopp einzusetzen. „Weder die EU-Kommission noch die Mitgliedsstaaten dürfen neue Anbauzulassungen für gentechnisch veränderte Pflanzen erteilen, solange ihre negativen Auswirkungen auf die Umwelt, die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie ihre sozio-ökonomischen Effekte auf die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion nicht umfassend bewertet worden sind.“
Nachtrag 06.06.2012: Die Beratungen über nationale Anbauverbote für gentechnisch veränderter Pflanzen stehen nicht mehr auf der Tagesordnung des Umweltministerrats am 11.06. in Luxemburg. Damit dürfte das Vorhaben endgültig gescheitert seit. Es bleibt bei der derzeitigen Reglung und die Kommission muss nun die Entscheidungen über die anstehenden Anbauzulassungen für weitere gv-Pflanzen herbeiführen.