EU will „technische Null“ für nicht zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen auch bei Lebensmitteln einführen

(21.04.2012) Die EU-Kommission plant die strikte Nulltoleranz-Politik für nicht in der EU zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen zu lockern. Wie schon bei Futtermitteln sollen nun auch bei Lebensmitteln solche Beimischungen in geringfügigen Mengen toleriert werden, solange sie unterhalb der technischen Nachweisgrenze von 0,1 Prozent bleiben und als unbedenklich anzusehen sind. Das unterschiedliche Anwendungstempo bei der Grünen Gentechnik in Europa einerseits und Nord- und Südamerika andererseits stellt den transatlantischen Agrarhandel zunehmend vor Probleme.

John Dalli, EU-Kommission

EU-Verbraucherschutz- kommissar John Dalli will bei der Nulltoleranz gleiche Regelungen für Lebens- und Futtermittel.
Foto: Volker Gehrmann

Rinder, Futter

Futtermittel: Seit 2011 führt der Nachweis von nicht zugelassenen gv-Pflanzen nicht mehr automatisch zu einem Importverbot, wenn der GVO-Anteil unter der technischen Nachweisgrenze von 0,1 Prozent bleibt.

Reiskörner

Lebensmittel: Bisher gilt noch die Nulltoleranz.

Bei der landwirtschaftlichen Nutzung der Grünen Gentechnik driften Europa und die beiden Amerikas immer weiter auseinander. Während in Europa - bis auf Spanien - praktisch keine gentechnisch veränderten (gv-) Pflanzen angebaut werden, nehmen in Nord- und Südamerika nicht nur die damit bewirtschafteten Flächen zu, sondern auch die Zahl der zugelassenen gv-Pflanzenlinien (Events). Es wird daher immer schwieriger und aufwändiger, die für Europa bestimmten Soja- und Maislieferungen absolut frei von Beimischungen solcher gv-Pflanzen zu halten.

Dennoch wollte Europa zumindest bei Lebensmitteln bisher nicht vom Grundsatz der „Nulltoleranz“ abweichen: Jeder Nachweis einer nicht zugelassenen gv-Pflanze führt automatisch zu einem Einfuhrverbot der betreffenden Agrarlieferungen - auch dann, wenn der gemessene GVO-Anteil unterhalb der technischen Nachweisgrenze von 0,1 Prozent bleibt. Bis zu diesem Wert sind zuverlässige und vor allem reproduzierbare Messergebnisse aus technischen Gründen (PCR-Verfahren) nicht möglich.

Beides - die Zunahme des Anbaus von gv-Pflanzen in den Erzeugerländern und die Problematik zufälliger Analysewerte im Spurenbereich - haben den transatlantischen Agrarhandel zu einem unsicheren Geschäft gemacht.

Schon im letzten Jahr hatte die EU-Kommission einen ersten Vorschlag für eine „technische Lösung“ gemacht, dem die EU-Mitgliedsstaaten nach einigen Diskussionen mehrheitlich zustimmten. Danach dürfen Agrarlieferungen auch dann in die EU eingeführt werden, wenn darin Spuren von in der EU nicht zugelassenen gv-Pflanzen gefunden wurden, sofern der Anteil unterhalb der technischen Nachweisgrenze von 0,1 Prozent bleibt. Außerdem muss für die betreffende gv-Pflanze in der EU ein Zulassungsantrag eingereicht und ein anerkanntes Nachweisverfahren vorhanden sein. In mindestens einem Erzeugerland muss die gv-Pflanze zugelassen und als sicher bewertet worden sein.

Bisher ist diese Regelung auf Futtermittel beschränkt. Künftig, so plant es die EU-Kommission, soll sie auch für Lebensmittel gelten. Vor allem die Ölmühlen hatten sich dafür eingesetzt, da sie die bei ihnen eintreffenden Sojalieferungen sowohl zu Futtermitteln als auch zu Lebensmittelgrundstoffen verarbeiten. Daher seien unterschiedliche Regelungen nicht praktikabel.

Noch ist offen, ob die EU-Kommission für ihren neuen Vorschlag die notwendige Mehrheit der Mitgliedsstaaten bekommt. Gentechnik-kritische Gruppen lehnen jede Aufweichung der Nulltoleranz ab und setzen ihre Regierungen unter Druck. Folgen die Länder mehrheitlich der Kommission, könnte nach einem Bericht von agrarheute die neue Regelung noch vor der Sommerpause in Kraft treten.

Doch ob damit die Probleme gelöst sind, die sich im Agrarhandel zwischen Europa und den Amerikas aus dem unterschiedlichen Umgang mit der Grünen Gentechnik ergeben, erscheint fraglich. Denn die Schere dürfte in nächster Zeit noch größer werden.

In den USA sind neunzig verschiedene gv-Pflanzen für den Anbau zugelassen, in Kanada 69 und in Brasilien 28. Die EU hat derzeit für vierzig gv-Pflanzen eine Genehmigung als Lebens- und Futtermittel erteilt. 54 weitere Anträge warten bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Bei elf weiteren ist zwar die Sicherheitsbewertung abgeschlossen, die politischen Entscheidungen liegen aber schon seit langem auf Eis. Heute dauert eine Zulassung in der EU im Schnitt drei Jahre, in den USA wird das Verfahren weiter gestrafft und soll künftig weniger als ein Jahr betragen.