Gutachten zu Gentechnik-Zulassungen in der EU: Kaum lösbarer Konflikt zwischen Wissenschaft und Politik
(31.10.2011) Nach der Veröffentlichung zweier Gutachten zu den EU-Rechtsvorschriften für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sieht sich die EU-Kommission „auf dem richtigen Weg“. Viele der Empfehlungen seien bereits umgesetzt worden. Ein Kernpunkt jedoch scheint von einer Lösung weiter entfernt denn je: Die Kommission will den Mitgliedsstaaten einen größeren politischen Spielraum zubilligen, um den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen auf ihrem Territorium zu regulieren. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten lehnt das jedoch ab.
John Dalli, EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz: „Die Probleme bei der Anwendung der GVO-Vorschriften sind weder auf ihre Konzeption, noch auf ihre Zielsetzungen zurückzuführen, sondern auf die Art und Weise, wie diese sensiblen Themen auf politischer Ebene behandelt werden.“
Schon seit längerem überprüft die Kommission die aktuell geltenden Rechtsvorschriften und Zulassungsverfahren bei gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Im Rahmen dieses Prozesses gab sie zwei externe Gutachten in Auftrag: Eines hat sich mit der Zulassung für den Anbau von gv-Pflanzen beschäftigt, ein weiteres mit der Praxis der Sicherheitsbewertung und Kennzeichnung von Futter- und Lebensmitteln aus GVO. Für diese Gutachten wurden zahlreiche Experten, Mitarbeiter der zuständigen Behörden und Interessenvertreter (Stakeholder) befragt.
Anfang 2011 wurden beide Gutachten fertig und anschließend von der Kommission einer „internen strategischen Bewertung“ unterzogen. Am vergangenen Freitag (28.11.) stellte sie Verbraucherschutzkommissar John Dalli in Brüssel der Presse vor.
Im Kern liefern beide Gutachten wenig Neues. Die großen Ziele des EU-Rechtssystems - Schutz der Gesundheit und der Umwelt, Wahlfreiheit und Schaffung eines Binnenmarktes - finden darin eine breite Zustimmung. Probleme gibt es jedoch bei der praktischen Umsetzung dieser Ziele.
Nach den derzeitigen Rechtsvorschriften sind Sicherheitsbewertungen für GVO ausschließlich auf wissenschaftlicher Basis durchzuführen. Wenn über die sich daraus ableitende Zulassung zu entscheiden ist, setzen sich viele Mitgliedsstaaten über das wissenschaftliche Ergebnis hinweg. Sie folgen dabei politischen oder sozio-ökonomischen Erwägungen, die im aktuellen GVO-Recht nicht vorgesehen sind. Ähnlich bei nationalen Anbauverboten, wie sie Länder wie Deutschland oder Frankreich für in der EU zugelassene gv-Pflanzen erlassen haben: Zur Begründung ziehen Mitgliedsstaaten angebliche Zweifel an der wissenschaftlichen Bewertung heran. Tatsächlich, so die Einschätzung der Gutachten und der befragten Experten, handeln sie jedoch aus politischen Motiven.
Um diesen Grundkonflikt zwischen strikt wissenschaftsbasierter Sicherheitsbewertung und politischen Interessen zu entschärfen, müssen die Mitgliedsstaaten, so eine Schlussfolgerung der Gutachten, einen größeren politischen Gestaltungsspielraum bekommen und damit mehr Flexibilität, um regionale oder nationale Gegebenheiten berücksichtigen zu können. Für John Dalli ist die Kommission auf dem richtigen Weg. Sie habe schon vor zwei Jahren den Vorschlag auf den Weg gebracht, dass die Mitgliedsstaaten selbst über den Anbau von gv-Pflanzen entscheiden und ihn auf ihrem Gebiet einschränken oder verbieten können. Dabei sollen sie sich auf ethische oder sozio-ökonomische Gründe berufen können.
Doch bisher zeigt sich die Mehrheit der Mitgliedsstaaten davon wenig begeistert. Sie sieht darin einen Verstoß gegen den Binnenmarkt. „Unser Vorschlag hat keine Mehrheit im Rat“, sagte Ladislav Miko, Generaldirektor für Gesundheit und Verbraucherschutz der Kommission. Die Mitgliedsstaaten wollten offenbar keine politische Verantwortung übernehmen. Zumindest kurzfristig dürfte eine Re-Nationalisierung beim GVO-Anbau wenig Chancen haben. Nach einem Bericht des Nachrichtendienstes von Dow Jones sind dazu vorerst keine weiteren Beratungen im Ministerrat geplant.
Dagegen dürfte sich das in den Gutachten angesprochene Problem „asynchroner Zulassungen“ einfacher lösen lassen. In vielen Erzeugerländern wie USA, Brasilien oder Argentinien werden gv-Pflanzen nicht nur auf immer größeren Flächen angebaut, sondern es kommen zahlreiche neue gv-Pflanzen (Events) hinzu. Doch Futter- und Lebensmittel aus solchen Pflanzen dürfen - auch in Spuren - nur dann in die EU importiert werden, wenn sie dort dafür zugelassen sind. Entsprechend viel Anträge stauen sich bei den zuständigen EU-Behörden. Als Folge der langen Verfahrensdauer in der EU und politisch motivierten Verzögerungen wird die Schere zwischen der Zahl der in den Erzeugerländern genutzten gv-Pflanzen und den in der EU zugelassenen immer größer.
Schon in Kürze will die EU-Kommission die Anforderungen an Zulassungen für Importe von GVO-Futter- und Lebensmittel „präzisieren“. Damit, so Dalli, sollen die Zulassungsverfahren in der EU beschleunigt werden und nicht wesentlich länger dauern als international üblich.