Gentechnik-Anbau: Ministerrat schiebt nationale Verbote auf die lange Bank
(20.12.2010) Das Vorhaben der EU-Kommission, den Mitgliedsstaaten die Entscheidung über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu überlassen, bleibt umstritten. Auf der heutigen Sitzung des EU-Umweltministerrats in Brüssel wurde deutlich, dass viele Länder darin einen Verstoß gegen die Prinzipien des gemeinsamen Binnenmarkts sehen. Nun will die Kommission eine Liste mit möglichen „sozioökonomischen“ Verbotsgründen vorlegen.
Joke Schauvliege, belgische Umweltministerin. Als derzeitige Ratspräsidentin legte sie einen Sachstandsbericht zur europäischen Gentechnik-Politik vor. Kritik der Mitgliedsstaaten gab es vor allem an der Kommission.
Foto: Rat der Europäischen Union
Den Umweltministern lag ein „Sachstandsbericht“ der belgischen Ratspräsidentschaft zu aktuellen Fragen der europäischen Gentechnik-Politik vor.
Dabei ging es um den im Juli 2010 vorgestellten Plan der EU-Kommission, dass künftig die Mitgliedsstaaten darüber entscheiden sollen, ob sie einen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zulassen oder nicht. Zudem legte der Bericht dar, inwieweit die EU-Kommission die Beschlüsse des Umweltministerrats aus Dezember 2008 umgesetzt hat. Damals hatten die Minister strengere Regeln und eine Ausweitung der Prüfkriterien bei der Zulassung von gv-Pflanzen beschlossen.
Die Mehrzahl der Umweltminister, die sich auf der heutigen Ratssitzung in Brüssel zu Wort meldeten, äußerten Bedenken gegen eine Re-Nationalisierung beim Anbau von gv-Pflanzen. Sie verwiesen auf ein kürzlich veröffentlichtes Gutachten des juristischen Dienstes des Europäischen Rates, das die Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf die Mitgliedsstaaten als Verstoß sowohl gegen die Verträge über den europäischen Binnenmarkt als auch gegen das von der EU mitunterzeichnete Welthandelsabkommen wertete.
Als problematisch gelten insbesondere mögliche Begründungen, die ein Land für nationale Anbauverbote heranziehen könnte. Wissenschaftliche Zweifel an der Sicherheit von gv-Pflanzen können nicht angeführt werden, da diese Fragen weiterhin in einem europäisch einheitlichen Zulassungsverfahren für alle Länder bindend geklärt werden.
Die Länder sollen mögliche Verbote, so die EU-Kommission, vor allem auf sozioökonomische Gründe stützen. Auch der Umweltministerrat hatte im Dezember 2008 beschlossen, solche Kriterien bei der Zulassung stärker zu berücksichtigen. Die EU-Kommission hatte den Auftrag erhalten, entsprechende Konzepte zu entwickeln.
Bis heute ist jedoch nicht geklärt, was unter sozioökonomischen Kriterien zu verstehen ist und wie sie in rechtlich eindeutige und überprüfbare Entscheidungen einfließen können. Eine Reihe von Mitgliedsstaaten, vor allem Frankreich, äußerte in Brüssel heftige Kritik an der Kommission, da sie ihren Auftrag bisher nicht erfüllt habe.
EU-Verbraucherschutzkommissar John Dalli sicherte jedoch zu, Anfang des kommenden Jahres eine Liste mit „rechtssicheren“ sozioökonomischen Kriterien vorzulegen, auf die sich nationale Anbauverbote stützen könnten. Er räumte allerdings ein, dass die Vorstellungen der einzelnen Mitgliedsstaaten weit auseinander lägen und in sich widersprüchlich seien. Dalli nannte etwa“ ethische“ oder „gesellschaftliche“ Gründe, ohne diese konkreter auszuführen.
Eine bereits vorher eingerichtete Ad-hoc-Arbeitsgruppe des Rates wird Anfang Februar erneut zusammentreffen, um die Möglichkeiten für eine Nationalisierung des Anbaus von gv-Pflanzen auszuloten. Einige Länder haben ihre weitere Mitarbeit in der Gruppe davon abhängig gemacht, ob bis dahin die Frage der sozioökonomischen Verbotsgründe geklärt ist.
Damit wird sich vorerst an der politisch festgefahrenen Situation in der europäischen Gentechnik-Politik wenig ändern. Der Grünen Gentechnik aufgeschlossene und ablehnende Länder werden sich weiterhin gegenseitig blockieren und so Zulassungsentscheidungen verzögern.
Zu erwarten ist, dass fällige Entscheidungen über Anbauzulassungen vorerst zurückgestellt werden. Für mehrere gv-Maislinien ist die wissenschaftliche Sicherheitsbewertung abgeschlossen, darunter auch die Neuzulassung für den Bt-Mais MON810. Seit längerem ist die EU-Kommission am Zug, den Mitgliedsstaaten einen entsprechenden Entscheidungsvorschlag vorzulegen.