Grüne Gentechnik: Deutschland steigt aus, Europa bremst, Amerika beschleunigt

(26.08.2015) In Nord- und Südamerika steht die Entwicklung bei der Grünen Gentechnik nicht still. Immer neue gentechnisch veränderte Pflanzen werden dort für den Anbau zugelassen. Neue Technologien bringen erste anwendungsreife Produkte hervor. Ganz anders Europa: Deutschland und viele andere Länder werden den Anbau bei sich verbieten. Auch Freilandversuche mit gv-Pflanzen gibt es bis auf wenige Ausnahmen keine mehr. Doch die EU ist weiter von der Einfuhr großer Mengen von Eiweißfuttermitteln und anderer Agrarfrohstoffe abhängig. Der unterschiedliche Umgang mit der Gentechnik wird sich vermehrt in Handelskonflikten niederschlagen.

Christian Schmidt bei Heuernte

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat gerade in einem Brief die Agrokonzerne aufgefordert, Deutschland bei den Anbauzulassungen für gv-Pflanzen auszusparen - der erste Schritt zu nationalen Anbauverboten.

BMEL/photothek.net/Jörg Sarbach

Anbau-Zulassungen für gv-Sojabohnen und Import-Zulassungen Europa

Unterschiedliches Tempo. Anzahl der Anbauzulassungen für gentechnisch veränderte Sojabohnen und der Import-Zulassungen in Europa.

Anbauzulassungen weltweit/ Import-Zulassungen Europa:

Soja: 28/12

Mais: 95/30

Baumwolle: 56/10

Raps: 23/4

Zwar sind die mit gentechnisch veränderten Pflanzen bewirtschafteten Flächen in Nord- und Südamerika zuletzt kaum noch gestiegen. Zugenommen hat jedoch die Zahl der gv-Pflanzen, die dort für den Anbau zugelassen werden. Neue gv-Mais- und Sojasorten mit bisher nicht gebräuchlichen Merkmalen und einer Vielzahl von Merkmals-Kombinationen kommen auf die Felder.

So wurde etwa bis 2009 in Südamerika nur eine einzige gv-Sojabohne angebaut, die RoundupReady Sojabohne von Monsanto. Seitdem sind dort sieben weitere gv-Sojabohnen (Events für den Anbau zugelassen worden. Derzeit ist für fünf von acht in Südamerika für den Anbau zugelassenen gv-Sojabohnen die Einfuhr nach Europa erlaubt.

Noch unübersichtlicher ist die Situation bei Mais. Außerhalb Europas sind aktuell mindestens 95 verschiedene Mais-Events für den Anbau zugelassen, vor allem mit Kombinationen verschiedener Merkmale (Stacked Events). In der EU erlaubt sind 30.

Dass bei den Zulassungen der Anbau dem Import davonläuft, wird sich so schnell nicht ändern. Eher wird sich die Schere weiter öffnen. So dauert es von der Antragstellung bis zur Zulassung in Europa im Durchschnitt vier, manchmal auch zehn Jahre, in den USA nur zwei.

Während die einzige in der EU für den Anbau zugelassene gv-Pflanze (MON810) noch aus den frühen 1990er Jahren stammt, hat sich die Agro-Biotechnologie in Nord- und zunehmend auch in Südamerika dynamisch weiterentwickelt.

So hat im Frühjahr in Argentinien eine Sojabohne mit einer neuartigen Stresstoleranz die erste Zulassungshürde genommen. Eine eingeführte Genkasette mit einem ursprünglich aus Sonnenblumen stammenden Gen (HB4) soll die Selbstregulierung der Pflanzen bei Wassermangel und anderen Stressfaktoren verbessern. Seit fünf Jahren werden die Sojabohnen im Freiland getestet. Sie sollen bei Wassermangel 14 Prozent, unter normalen Bedingungen sieben Prozent mehr Ertrag liefern als herkömmliche Bohnen. Entwickelt wurden die neuen Bohnen in einem Joint Venture (Verdeca) eines amerikanischen (Arcadia) und eines argentinischen Biotech-Unternehmens (Bioceres). Nach der vollständigen Zulassung soll das HB4-Konstrukt in viele gängigen Sojasorten eingebracht werden. Entsprechende Kooperationen sollen mit süd- und nordamerikanischen Unternehmen bestehen.

Gerade hat Monsanto einen Mais (MON87411) in den USA zur Zulassung eingereicht, der erstmals den Ansatz der RNA-Interferenz nutzt. Der Mais produziert RNA-Abschnitte, die in einem Schädling oder Krankheitserreger - in diesem Fall dem Maiswurzelbohrer - das Ablesen eines für ihn lebenswichtigen Gens blockieren. Auch eine in Brasilien entwickelte virusresistente Bohne funktioniert nach diesem Prinzip.

Mit der RNAi-Technologie könnten sich im Pflanzenschutz neue Alternativen eröffnen, sowohl zu chemischen Mitteln wie zur klassischen Gentechnik. So entwickelt Monsanto - aber auch konkurrierende Unternehmen - RNA-Sprays und testet diese derzeit im Einsatz gegen Kartoffelkäfer.

Hinzu kommen weitere neue Züchtungstechniken, mit denen keine „fremden“ Gene eingeführt, sondern vorhandene umgeschrieben werden (Genom Editing). In den USA fallen die damit erzeugten Pflanzen nicht unter die Gentechnik-Regulierung. In Europa zögert die Kommission eine Entscheidung seit Jahren hinaus.

Mit diesen technologischen Entwicklungen werden die schwerfälligen und politisch komplizierten europäischen Zulassungsverfahren kaum Schritt halten. In der sich weiter öffnenden Schere zwischen den Zulassungen diesseits und jenseits des Atlantiks spiegelt sich der unterschiedliche Umgang mit Grüner Gentechnik und molekularbiologischer Pflanzenforschung.

Für den Handel mit Europa schafft das Probleme - auf beiden Seiten. Bei der Einfuhr in die EU dürfen in Agrarprodukten nur solche gv-Pflanzen vorhanden sein, die dort als Lebens- und Futtermittel zugelassen worden sind. Ist das nicht der Fall, führt jeder Nachweis einer nicht-zugelassenen gv-Pflanze zum Importverbot. Dieses Prinzip Nulltoleranz zwingt die Europäer dazu, bei ihren Importzulassungen mit den Anbauzulassungen in den Erzeugerländern Schritt zu halten. Oder aber auf solche Regionen auszuweichen, die den europäischen Weg des Gentechnik-Verzichts mitgehen wollen.