Petunie

Die verlorene Unschuld der Petunien:
Vor 30 Jahren kam die erste Gentechnik-Pflanze ins Freiland

Am 14. Mai 1990 pflanzten Wissenschaftler ein paar unscheinbare Petunien auf ein Feld am Stadtrand von Köln. Es war das erste Freilandexperiment mit einer gentechnisch veränderten (gv-) Pflanze in Deutschland. Die Petunien hatten ein Gen aus Mais erhalten. Damit sollten „springende Gene“ erforscht werden. In den nächsten Jahren folgten 1200 Freisetzungen mit verschiedenen gv-Pflanzen. Doch 2012 war es damit vorbei. Proteste und strikte gesetzliche Auflagen ließen keine Freilandversuche mehr zu. Das ist bis heute so geblieben.

Genehmigte Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen 1990 bis 2015

Überall in Deutschland. Zwischen 1990 und 2012 fanden an etwa 300 Standorten Freilandversuche mit gv-Pflanzen statt.

Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland

Jede Menge Freilandversuche. Etwa 200 Freisetzungsanträge wurden genehmigt. Ein Antrag umfasst in der Regel Versuche an verschiedenen Standorten über mehrere Jahre. Knapp 1200 einzelne Freisetzungen wurden tatsächlich durchgeführt.

Grafiken: i-bio/Gestaltungskomitee; großes Foto oben: An Nguyen, 123RF

Schon in den achtziger Jahren hatten Wissenschaftler des Kölner Max-Planck-Institutes für Pflanzenzüchtungsforschung ein Gen aus Mais auf Petunien übertragen. Der Zweck des Eingriffs war, „springende Gene“ (Transposons) und ihre Bedeutung in der Evolution näher zu erforschen. Während der Entwicklung eines Organismus wandern sie im Genom hin und her. Wenn sie in ein Gen „springen“, lösen sie dort Mutationen aus. Ist bei einer veränderten Petunie das Mais-Gen für die lachsrote Farbe davon betroffen, wird es zerstört und die betreffende Pflanze blüht weiß. Der Farbumschlag, so die Erwartung, sollte ein springendes Gen in Aktion anzeigen, um dort anschließend die molekularen Vorgänge genauer analysieren zu können.

Doch es kam anders: Nicht nur einzelne, sondern sechzig Prozent aller Blüten waren rot-weiß gesprenkelt. Es stellte sich heraus, dass die Ausprägung des neuen Gens offenbar durch das lang anhaltende sonnige Wetter mit hoher UV-Strahlung verändert worden war. Dass Umweltfaktoren die Aktivität eines Gens verändern können, war für die Forscher eine wichtige neue Erkenntnis. Kritiker sahen darin den Beweis, dass Gentechnik grundsätzlich nicht kontrollierbar sei. (Mehr zum Kölner Petunien-Versuch und den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die er ermöglichte, findet sich >hier)

Schon damals gab es heftige Proteste. Die Petunien galten als „Pilotprojekt für viel gefährlichere Tests“, als leichtfertiges Spiel mit „kaum bekannten und erforschten Risiken“. Doch das konnte die Aufbruchstimmung, wie sie zu Beginn der 1990er Jahre in der Wissenschaft und bei den großen Agro-Konzernen herrschte, kaum trüben. Ähnlich wie bei Arzneimittel-Wirkstoffen eröffnete die Gentechnik nun auch für die Pflanzenforschung und -züchtung ganz neue Möglichkeiten. Durch Übertragung bestimmter Gene – auch über Artgrenzen hinweg - sollten Pflanzen Merkmale erhalten, die mit den damaligen züchterischen Verfahren nicht erreichbar waren, etwa Resistenzen gegen Schädlinge und Krankheitserreger, aber auch gegen Herbizide - ganz ähnlich wie etwa menschliches Insulin bereits erfolgreich in gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt werden konnte.

Die großen Erwartungen spiegeln sich auch in der rasch steigenden Zahl der Freisetzungen in Deutschland. Seit Mitte der neunziger Jahre nahmen sie rasant zu - bis auf 224 allein im Jahr 2000. Insgesamt wurden in Deutschland bis 2012 etwa 200 Freisetzungsanträge genehmigt und 1200 Freisetzungen mit gv-Pflanzen an 300 verschiedenen Standorten in Deutschland durchgeführt. (Ein Antrag konnte mehrere Freisetzungen an unterschiedlichen Standorten und Wiederholungen in weiteren Jahren umfassen.) Öffentliche Forschungseinrichtungen und Universitäten stellten etwa gleich viel Anträge wie Unternehmen.

Überall drängte die Forschung ins Freiland. Denn nur dort lässt sich überprüfen, ob das, was im „geschlossenen System“ von Labor und Gewächshaus entwickelt wurde, auch draußen in der Umwelt, bei Wind und Wetter tatsächlich so funktioniert wie erwartet. Nicht immer trifft das zu - auch das war eine Lektion der Kölner Petunien.

Aber auch mögliche Auswirkungen einer gv-Pflanze auf die Umwelt – etwa auf andere Organismen, die Bodenfruchtbarkeit oder das gesamte ökologische Gefüge - können nur im Freiland untersucht werden. Während vor allem in Nord- und Südamerika die kommerzielle Anwendung der Grünen Gentechnik rasch Fahrt aufnahm, finanzierte die Bundesregierung mehrere Programme zur Erforschung der biologischen Sicherheit von gv-Pflanzen. Die zahlreichen, oft über mindestens drei Jahre laufenden Projekte – vor allem zu Mais, aber auch Kartoffeln, Raps, Zuckerrüben, Gerste oder Pappeln – schlugen sich in den Freisetzungsstatistiken nieder.

Parallel verfolgten die großen Agrarkonzerne wie Monsanto, Bayer oder BASF, aber auch traditionelle Züchtungsunternehmen wie die KWS das Ziel, ihre neu entwickelten gv-Pflanzen in Deutschland als Saatgut auf den Markt zu bringen. 1998 wurde der schädlingsresistente MON810-Mais (Bt-Protein) für den Anbau zugelassen, ähnliche Mais-Events folgten. Weitere Zulassungsanträge zum Anbau von gv-Kartoffeln, gv-Raps und gv-Zuckerrüben waren gestellt, doch die Entscheidungen auf europäischer Ebene zogen sich über Jahre hin.

Um die erforderlichen Daten für die gentechnik-rechtliche Zulassung, aber auch für die Sortenregistrierung zu erheben, führten die Unternehmen zahlreiche Freisetzungsversuche durch. Meist erlaubte die jeweilige Genehmigung Versuche an bis zu 50 Standorten. Zudem sollten die neuen gv-Sorten – meist mit neu eingeführter Insekten- oder Herbizidresistenz – unter möglichst unterschiedlichen Boden- oder Klimabedingungen getestet werden, um praktische Anbauerfahrungen zu gewinnen. Ab 2004 gab es zudem an 30 Standorten einen „Erprobungsanbau“ mit gv-Mais, um unter Praxisbedingungen Erfahrungen zu gewinnen, wie eine „Koexistenz“ zwischen Anbauformen mit und ohne Gentechnik möglich sein könnte.

Doch schon da hatten sich das Meinungsklima und die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen für die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen deutlich verschlechtert. Für die Antragsteller waren die Genehmigungsverfahren immer aufwändiger geworden. Meist mussten während des Versuchs - und danach - komplizierte Sicherheitsauflagen eingehalten werden. Besonders universitäre Forschungsprojekte konnten sich das kaum noch leisten, zumal sie das volle Haftungsrisiko übernehmen mussten, wenn es außerhalb der Versuchsflächen doch einmal zu Auskreuzungen kommen sollte.

Vor allem aber: An den Freisetzungsorten mit gv-Pflanzen manifestierte sich der wachsende Protest gegen die Grüne Gentechnik und den Einfluss der Agro-Konzerne. Es blieb nicht bei friedlichen Demonstrationen: Versuchsfelder wurden besetzt und zerstört, die wissenschaftliche Auswertung der Experimente massiv behindert. Dabei machten die Aktivisten keine Unterschiede zwischen Unternehmen und Projekten aus der öffentlichen Sicherheitsforschung – fast überall mussten Felder mit gv-Pflanzen rund um die Uhr bewacht und aufwändig geschützt werden. Die Akzeptanz in der Gesellschaft schwand – und die Politik reagierte mit immer weiter verschärften Rahmenbedingungen.

Nach langen, quälenden Auseinandersetzungen wurde 2009 der Anbau von MON810-Mais in Deutschland verboten. Ein paar Jahre später zogen die Unternehmen die meisten ihrer Anträge für Anbauzulassungen weiterer gv-Pflanzen zurück. Seit 2013 gibt es in Deutschland denn auch keine Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen mehr. Die Unternehmen haben das Interesse verloren und sehen keine Perspektive für eine landwirtschaftliche Nutzung von gv-Pflanzen. Forschung beschränkt sich auf die Labore, notwendige Freilandversuche sind ins Ausland abgewandert. Eine öffentlich geförderte Sicherheits- und Begleitforschung ist schon vor Jahren ausgelaufen.

So gesehen beschreibt das Auf und Ab der Freilandversuche die kurze Geschichte der Grünen Gentechnik in Deutschland.

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