EU-Flagge und NGT-Regulierung

Neue genomische Techniken: Zähes Ringen um die Reform der Gentechnik-Gesetze

Schon länger liegt der Vorschlag der EU-Kommission für die überfällige Reform der Gentechnik-Gesetze auf dem Tisch. Kernpunkt sind Erleichterungen beim Umgang mit Pflanzen, die mit neuen genomische Verfahren wie der Gen-Schere CRISPR/Cas gezüchtet wurden. Die Wissenschaft begrüßte den Vorschlag nahezu einhellig, doch die Politik tut sich schwer. Zwar hat das EU-Parlament im Kern bereits zugestimmt, doch im Rat blockieren einige Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, bisher jeden Kompromiss. Nun versucht Polen einen neuen Anlauf. Kommt es nun doch noch zu einer Entscheidung?

Vor mehr als sechs Jahren, im Juli 2018 verkündete der Europäische Gerichtshofs (EuGH) ein denkwürdiges Urteil: Auch genom-editierte Pflanzen, so entschieden die Richter, fallen ohne Abstriche unter die geltenden Gentechnik-Gesetze – selbst Pflanzen, in die keine neuen Gene eingeführt und die auch zufällig „in der Natur“ oder durch traditionelle Züchtung hätten entstehen können. Das Urteil bedeutete ein defacto-Verbot für genom-editierte Pflanzen.

Spätestens da war eine Reform der wissenschaftlich überholten Gentechnik-Gesetze überfällig geworden. Zwar stammen sie noch aus den frühen 1990er-Jahren, als so präzise Verfahren wie etwa die Gen-Schere CRISPR/Cas unvorstellbar schienen, doch sie bestimmen noch immer, was heute in der modernen Pflanzenzüchtung erlaubt ist. Endlich setzte EU-Kommission einen langwierigen Beratungsprozess mit vielen Gutachten, Diskussionen und Dialogformaten in Gang. Er mündete in einen Vorschlag der Kommission für eine neue Verordnung, den sie im Juli 2023 offiziell beschloss.

Der Vorschlag der Kommission: Die Kernpunkte

Nach dem Vorschlag der Kommission soll es für Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken (NGT) – so die inzwischen offizielle Bezeichnung – gezüchtet wurden, nicht mehr so aufwändige, oft endlos lange Zulassungsverfahren geben wie bei der Gentechnik. Freilandversuche – die für erste realistische Tests nach der Entwicklung im Labor und Gewächshaus so wichtig sind – müssen nur noch angemeldet, nicht mehr genehmigt werden. Und: Anders als bei herkömmlichen gentechnisch veränderten Pflanzen können einzelne EU-Mitgliedstaaten weder den Anbau dieser editierten Pflanzen bei sich verbieten noch Freilandversuche untersagen.

CRISPR/Cas

NGT1-Pflanzen, die nach dem Vorschlag der EU Kommission künftig weniger reguliert werden, sind Pflanzen, bei denen durch eine zufällige Reparatur an der Bruchstelle des DNA-Strangs ein Gen inaktiviert wurde (Grafik oben, unten rechts). Bei einer zielgerichteten Mutation (unten Mitte) dürfen maximal 20 DNA-Bausteine verändert werden.

NGT1-Pflanzen – was gehört dazu? Die weitestgehenden Vereinfachungen sollen für NGT-Pflanzen der Kategorie 1 gelten. Das sind Pflanzen, die mit Hilfe von gezielter Mutagenese – etwa CRISPR/Cas oder TALEN – erzeugt wurden und die ausschließlich Genmaterial enthalten, das sich im züchterisch genutzten Genpool der jeweiligen Art befindet. Auch cisgene Pflanzen gehören damit künftig in diese Kategorie, etwa die in Wageningen (NL) entwickelten Kartoffeln, in die mehrere Resistenz-Gene aus Wildkartoffeln eingeführt wurden, die gegen die Kraut- und Knollenfäule wirksam sind und so dazu beitragen, dass 80 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel gespritzt werden müssen.

Welche Kriterien mit neuen Verfahren gezüchtete Pflanzen im einzelnen erfüllen müssen, um als NGT1 zu gelten, hat die Kommission in einem Annex zu den bestehenden Gentechnik-Gesetzen festgelegt (siehe Infobox unten). So dürfen gegenüber der Ausgangspflanze höchstens 20 Basenpaare modifiziert worden sein. Alle NGT1-Pflanzen könnten auch herkömmlich gezüchtet werden oder durch zufällige Mutation unter natürlichen Bedingungen entstanden sein.

Anders als bisher sollen NGT1-Pflanzen von den meisten für GVO geltenden Auflagen befreit bleiben, so sieht es der Vorschlag der EU-Kommission vor.

Freilandversuche mit NGT1-Pflanzen sind künftig nur noch bei der zuständigen nationalen Behörde anzumelden. Diese prüft, ob die NGT1-Kriterien bei der jeweiligen Pflanze tatsächlich zutreffen. Dann kann der Versuch ohne weitere Auflagen durchgeführt werden. Eine Veröffentlichung des jeweiligen Versuchs und seines Standorts ist nicht vorgeschrieben, die Kommission wird lediglich zusammenfassende Berichte herausgeben.

Sollen NGT1-Pflanzen auf den Markt gebracht werden – als Saatgut für den Anbau oder als Lebens- und Futtermittel –, muss zunächst bei der jeweils zuständigen nationalen Behörde ein „Überprüfungsersuchen“ eingereicht werden. Darin hat der Antragsteller durch Pflanzenmaterial oder Sequenzanalysen nachzuweisen, dass die Pflanze tatsächlich den NGT1-Kriterien entspricht. Ist das der Fall, führt die EU-Kommission auf der Basis der wissenschaftlichen Erstprüfung einen Beschluss über die EU-weite Zulassung als NGT1-Pflanze herbei – wie bisher unter Einbeziehung aller Mitgliedstaaten.

In einer öffentlich zugänglichen Datenbank werden alle Überprüfungsuntersuchungen mit den für die Bewertung wesentlichen Informationen und allen Beschlüssen zum NGT1-Status dokumentiert. Zudem werden alle anerkannten NGT1-Pflanzen in ein öffentliches Register eingetragen. Einzelne Mitgliedstaaten dürfen den Anbau und den Warenverkehr nicht einschränken oder gar verbieten.

Eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel aus NGT1-Pflanzen ist im Vorschlag der EU-Kommission nicht vorgesehen. Jedoch muss Saatgut oder vermehrungsfähiges Material eindeutig als Kat.1 NGT deklariert werden. Anhand dieser Informationen können Landwirte entscheiden, ob sie solche Pflanzen anbauen wollen oder nicht. Im Biolandbau sollen NGT1-Pflanzen weiterhin nicht erlaubt sein. Die Verbände der Öko-Branche beharren auf einem strikten Verbot.

Für alle anderen mit neuen genomischen Techniken gezüchtete Pflanzen, die nicht den NGT1-Kriterien entsprechen, gelten in der Regel ähnliche Vorschriften wie für klassische gentechnisch veränderte Pflanzen – allerdings mit einigen Erleichterungen. Für solche als NGT2 bezeichneten Pflanzen kann das Zulassungsverfahren mit der Sicherheitsbewertung vereinfacht werden, wenn es keine „plausiblen Hinweise“ auf mögliche Risiken gibt und wenn die neuen Merkmale den Nachhaltigkeitszielen des European Green Deal entsprechen, etwa eine bessere Trockentoleranz, Resistenzen gegen Pflanzenkrankheiten und Schädlinge oder auch höhere Erträge. Für herbizidtolerante Pflanzen soll es keine vereinfachte Zulassung geben.

NGT2-Pflanzen und die daraus erzeugten Produkte unterliegen weiterhin der Kennzeichnungspflicht. Neu ist, dass dabei das geänderte oder neu hinzugefügte Merkmal genannt werden muss.

(2) Beschluss im Parlament, Gerangel ohne Ende im Ministerrat

Bevor eine neue Verordnung wie die „über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel“ rechtskräftig wird, müssen EU-Parlament und Rat – also die Mitgliedstaaten – mehrheitlich zustimmen. Weichen die Beschlüsse der drei EU-Institutionen – Parlament, Rat und Kommission – voneinander ab, muss eine gemeinsamer Standpunkt ausgehandelt werden (Trialog) – ein komplizierter, sich oft über Jahre hinschleppender Prozess.

Jessica Polfjärd MdEP

Jessica Polfjärd. Die schwedische EU-Abgeordnete war Berichterstatterin zu den neuen EU-Vorschriften für NGT-Pflanzen. Eine Mehrheit des EU-Parlaments stimmte ihrem Bericht und damit im Wesentlichen dem Entwurf der EU-Kommission zu - allerdings mit zahlreichen Änderungen.

Im Kern zugestimmt hat bereits das Europäische Parlament. Am 07. Februar folgte es mehrheitlich dem Bericht der schwedischen EVP-Abgeordneten Jessica Pölfjard, der in wesentlichen Punkten die Vorschläge der EU-Kommission enthält (307 dafür, 263 dagegen). Auch über die EU-Parlamentswahlen 2024 hinaus hat dieser Beschluss Bestand.

Angenommen wurden zahlreiche Änderungen und Ergänzungen einzelner Bestimmungen. Anders als die Kommission will eine Mehrheit im EU-Parlament, dass Produkte, die NGT1-Pflanzen enthalten, auf ihrem Etikett die Angabe „Neuartige genomische Verfahren“ tragen (Abänderung 264) – obwohl es bislang keine Nachweisverfahren gibt, um NGT1-Pflanzen von herkömmlichen zu unterscheiden. Zudem fordert das Parlament ein Patentierungsverbot für NGT-Pflanzen.

Dagegen haben sich die Mitgliedstaaten im Rat der Agrarminister bisher nicht verständigen können. Auch nach mehreren Anläufen kam die für einen Beschluss erforderliche qualifizierte Mehrheit nicht zustande, weder für den ursprünglichen Entwurf der Kommission, noch für verschiedene Kompromissvorschläge. Sie scheiterten mehrmals an einer Sperrminorität von Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Österreich oder Ungarn. Die Reform steckte erst einmal fest.

Als das Thema im Dezember 2023 zum ersten Mal auf der offiziellen Tagesordnung der EU-Agrarminister stand, versuchte Spanien als damals amtierende Ratspräsidentschaft, den skeptisch bis ablehnenden Mitgliedstaaten mit einem an mehreren Punkten abgeschwächten den Kompromiss entgegen zu kommen. So sollten etwa einzelne Mitgliedstaaten den Anbau von NGT2-Pflanzen bei sich verbieten können (opt-out). Auch die Kriterien für NGT1-Pflanzen sollten präziser und strenger gefasst werden.

EU Rat

Im Rat der EU-Agrarminister blockiert eine Sperrminorität bisher jeden Beschluss. Die Reform der Gentechnik-Gesetzes steckt fest.

Zum zentralen Streitpunkt in den Beratungen entwickelte sich die Frage der Patentierbarkeit von NGT-Pflanzen. Einige Länder, aber auch Züchter und Landwirte befürchten, dass solche Patente kleinere Unternehmen von der Nutzung der neuen Technologien ausschließen und zu einer nicht erwünschten Marktkonzentration in der Branche führen könnten. Doch auch mehrerer Kompromissvorschläge zu NGT-Patenten konnten die starren Lager nicht aufweichen. Zuletzt hatte Belgien ein generelles Patent-Verbot für NGT1-Pflanzen ausgearbeitet und im Agrar-Ministerrat vorgelegt (27.05.2024). Doch zu einer Mehrheit reichte es immer noch nicht.

Auch der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir begründete seine grundsätzliche Ablehnung mit der Patentfrage und der aus seiner Sicht nicht geklärten „Koexistenz“. Ein möglicher Anbau von NGT1-Pflanzen – die definitionsgemäß von natürlichen nicht unterscheidbar sind – würde die „milliardenschwere“ Bio-Landwirtschaft gefährden. Da jedoch das damals FDP-geführte Forschungsministerium den Vorschlag der Kommission unterstützte, enthielt sich Deutschland bei allen Abstimmungen im Rat – obwohl ein Patentverbot für NGT-Pflanzen auf dem Tisch lag.

Seitdem bewegte sich nichts. Doch nun versucht Polen, das im ersten Halbjahr 2025 den Vorsitz im Rat führt, einen neuen Anlauf. Ein detailliert ausgearbeiteter Kompromissvorschlag sieht vor, dass patentierte NGT1-Pflanzen gekennzeichnet werden müssen und einzelne Mitgliedstaaten deren Anbau bei sich verbieten können. Für NGT1-Pflanzen ohne Patentschutz sollen diese Einschränkungen nicht gelten. Damit hofft Polen, einige der patentierungs-kritischen Mitgliedstaaten doch noch zur Zustimmung für die Reform zu bewegen.

Noch im Januar 2025 soll der polnische Vorschlag in einer Arbeitsgruppe der Agrarministerien beraten werden. Danach könnte es im Rat zu einer erneuten Abstimmung kommen. Sollte es dort zur notwendigen qualifizierten Mehrheit reichen, könnte endlich der Trialog-Prozess starten.

Neue molekulare Züchtungstechniken erlauben eine bisher nie dagewesene Präzision und Effizienz in der Verbesserung von Nutzpflanzen. Dieses Potenzial sollte zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ausgeschöpft werden.

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

„Unvorhersehbare Risiken“ vs. „Chancen für eine klimaangepasste Landwirtschaft“

Von Anfang an war die Reform von heftigem politischen Getöse begleitet. Vor allem Bio-Wirtschaft und die weitverzweigten Anti-Gentechnik-Netzwerke mobilisieren gegen die „Deregulierungspläne der EU-Kommission“. Sie geben sich kompromisslos und wollen weiterhin NGT1-Pflanzen ohne Abstriche als gentechnisch veränderte (GVO) ansehen und den gleichen strengen Auflagen bis hin zu einem defacto-Anbauverbot unterwerfen. Begründet wird das mit im Einzelnen nicht vorhersehbaren Risiken, die gleichermaßen mit alter und „neuer Gentechnik“ verbunden seien.

Doch wissenschaftliche Belege dafür gibt es nicht. „Zahlreiche in internationalen wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlichte Studien enthalten keinerlei Hinweise darauf, dass NGT-Pflanzen oder deren Produkte ein höheres Risiko für Mensch und Umwelt bergen als Pflanzensorten und deren Produkte, die durch natürliche Mutationen, klassische Kreuzungszüchtung oder die Mutagenesezüchtung erzeugt wurden“, so eine aktuelle Stellungnahme der Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften und der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft), die noch einmal den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammenfasst. „Einen wissenschaftlich begründeten Besorgnisanlass“ gebe es nicht. Es sei daher nicht gerechtfertigt, das Vorsorgeprinzip anzuwenden.

Ganz ähnlich ein aktuelles wissenschaftliches Gutachten der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA), das sich mit kritischen Anmerkungen einer französischen Behörde auseinandergesetzt hat. Es sei „wissenschaftlich gerechtfertigt“, so die Schlussfolgerung der EFSA, „NGT-Pflanzen der Kategorie 1 in Bezug auf die Ähnlichkeit genetischer Modifikationen und die Ähnlichkeit potenzieller Risiken als konventionell gezüchteten Pflanzen gleichwertig zu betrachten.“

Mitte Januar 2024 wandten sich 35 Nobelpreisträger und 1500 Forschende in einem offenen Brief an die Abgeordneten des EU-Parlaments. Darin sprachen sie sich eindrücklich für den Gesetzentwurf der Kommission aus. Es „müssen schnelle, gezielte und günstige Züchtungsmethoden in den Werkzeugkasten der Pflanzenzüchter aufgenommen werden. (…) Der verantwortungsvolle Umgang mit NGTs, den die Gesetzgebung ermöglichen könnte, kann erheblich zu unserem gemeinsamen Streben nach einer widerstandsfähigeren, umweltbewussteren und ernährungssichereren Zukunft beitragen.“

Grafik oben: Bing Image Creator, Fotos: Europäisches Parlament, EU Council

Kriterien für eine Äquivalenz von NGT-Pflanzen und konventionellen Pflanzen. (Annex 1 zum Regulierungsvorschlag der EU-Kommission)
Um von den meisten für GVO (gentechnisch veränderte Pflanzen) geltenden Auflagen befreit zu werden, sind folgende Veränderungen an NGT-Pflanzen erlaubt (vereinfacht):
- Einfügen oder verändern von höchstens 20 Nukleotiden (DNA-Bausteine)
- Entfernen oder ausschalten von beliebig vielen Nukleotiden
- Umdrehen einer DNA-Sequenz von beliebiger Länge
- Einfügen einer externen DNA-Sequenz, wenn diese im züchterisch nutzbaren Genpool einer Pflanzenart vorhanden ist
- Gezielte DNA-Modifikation unter der Voraussetzung, dass die daraus hervorgehende DNA-Sequenz im Genpool vorhanden ist


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