Genome Editing Pflanzen

Neue Züchtungsverfahren: In England und vielen anderen Ländern keine Gentechnik mehr

Noch gilt es: In der EU fallen neue Züchtungsverfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas unter die strengen Gentechnik-Gesetze - ohne Abstriche. Das soll sich ändern. Mitte 2023 beginnen in Brüssel dazu die politischen Beratungen. Was dabei am Ende herauskommt, ist nicht absehbar. Zahlreiche Länder auf allen Kontinenten haben es jedoch bereits vorgemacht und die Auflagen für einfache genom-editierten Pflanzen gelockert. Gerade hat England Anbau und Vermarktung solcher Pflanzen weitgehend freigegeben. Und sogar die sonst so vorsichtige Schweiz will sie von den dort geltenden Gentechnik-Verboten ausnehmen. (Mit einer Länderübersicht zu (De-) Regulierung von genom-editierten Pflanzen.)

Frans Timmermans

Für Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission sind die neuen Züchtungsverfahren „eindeutig“ Teil der Maßnahmen des Green Deal. Sie „haben das Potenzial, zu den Zielen einer widerstandsfähigeren und nachhaltigeren Agrar- und Lebensmittelproduktion beizutragen“.

Foto: EC Audiovisual Service; großes Foto oben: iStock

Schon 2022 hatte Großbritannien einen neuen Kurs eingeschlagen und die Freiheiten genutzt, die sich mit dem EU-Austritt eröffneten. In einem ersten Schritt beschloss das Parlament, dass Freilandversuche mit einfachen genome-editierten Pflanzen nur noch angemeldet, nicht mehr wie nach den zuvor geltenden EU-Gesetzen in einem aufwändigen Verfahren genehmigt werden müssen.

Im März 2023 folgte der nächste Schritt: Auch Anbau und Zulassung daraus erzeugter Produkte sind nun deutlich einfacher: Künftig prüft die zuständige Behörde (Food Standards Agency) vor der Markteinführung einer editierten Pflanze, ob die Voraussetzungen für eine Herausnahme aus den Gentechnik-Gesetzen vorliegen und führt eine „verhältnismäßige Risikobewertung“ durch. Alle relevanten Informationen werden in einem öffentlichen Register zugänglich gemacht. Die neuen Regeln gelten für genom-editierte Pflanzen, in die keine Fremd-Gene eingeführt wurden und deren neuen Eigenschaften auch unter natürlichen Bedingungen hätten entstehen können. Später sollen ähnlich Regelungen für editierte Tiere folgen.

Aus Sicht der Regierung ist das Gesetz für Präzisionszüchtung (Precision Breeding Act) „ein wichtiger Schritt zur Erschließung von Wachstum und Innovation durch neue Technologien, zur Stärkung der Ernährungssicherheit angesichts des Klimawandels“. Das Gesetz solle es „den Landwirten ermöglichen, dürre- und krankheitsresistente Pflanzen anzubauen, den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zu reduzieren.“ Mit den Verfahren der der Präzisionszüchtung könne der genetische Code von Organismen angepasst werden, „um so vorteilhafte Eigenschaften in Pflanzen zu schaffen, die durch traditionelle Züchtung Jahrzehnte dauern würden“.

Das neue Gesetz ist zunächst nur in England gültig. Schottland und Wales haben bisher noch nicht zugestimmt.

Auch das Schweizer Parlament hatte im März 2022 überraschend eine Abkehr vom restriktiven Kurs beschlossen. Genom-editierte Pflanzen – sofern kein neues Erbmaterial eingefügt wurde – sollen nicht mehr ausnahmslos dem Gentechnik-Recht unterworfen werden und auch nicht unter das weiterhin geltende Anbau- und Nutzungsverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen fallen. 2005 wurde ein solches Moratorium in einer Volksabstimmung beschlossen und seitdem alle vier Jahre immer wieder verlängert, gerade noch einmal bis 2025. Dieser „radikale Meinungswechsel“ (NZZ) in beiden Kammern des Schweizer Parlaments ist auch Ausdruck eines veränderten Meinungsklimas. Es wachse eine neue Generation von Konsumentinnen heran, die nachweislich offener sei für „innovative Lösungen in der Landwirtschaft“, zitiert die NZZ eine aktuelle Studie der ETH Zürich.

Doch nicht nur die europäischen Nachbarn der EU haben alte, wissenschaftlich überholte Positionen aufgegeben. Zahlreiche Länder – darunter die großen Agrarexporteure in Süd- und Nordamerika, aber auch zahlreiche asiatische – haben inzwischen die Regeln für Zulassung und Anbau genom-editierter Pflanzen angepasst. Diese werden nicht mehr pauschal den Gesetzen unterworfen, die seit vielen Jahren für gentechnisch veränderte Pflanzen gelten. Im Kern orientieren sich dabei fast alle Länder am breiten wissenschaftlichen Konsens, wie er sich in den letzten Jahren herausgebildet hat.

  • Ist in einer genom-editierten Pflanze keine Fremd-DNA vorhanden und hätte sie auch unter natürlichen Bedingungen durch zufällige Mutationentstehen können, ist sie eher wie eine klassisch gezüchtete Pflanze zu bewerten. Besondere Risiken, die mit den neuen Verfahren verbunden sind, gibt es danach nicht.
  • Sind jedoch mit Hilfe von Genome Editing-Verfahren neue Gene oder größere DNA-Abschnitte ins Genom eingefügt worden, gelten solche Pflanzen in der Regel als GVO und fallen unter die Gentechnik-Gesetze. Sie müssen den gleichen Sicherheitsanforderungen genügen und die gleichen Zulassungs- und Kennzeichnungsauflagen erfüllen.

Einige Länder haben editierte Pflanzen ohne neu eingeführtes Gen-Material ganz freigegeben, die meisten haben sich für ein Fall-zu-Fall-Verfahren entschieden: Forschungsinstitute oder Unternehmen, die eine genom-editierte Pflanze im Freiland testen oder sie als Saatgut auf den Markt bringen wollen, müssen gegenüber den Zulassungsbehörden darlegen, ob die Voraussetzungen für eine Deregulierung zutreffen (siehe Tabelle unten).

Nach Nigeria hat Kenia als zweites afrikanisches Land eigene Richtlinien für genom-editierte Pflanzen in Kraft gesetzt. Auch hier soll fallweise entschieden werden, ob eine neu entwickelte genom-editierte Pflanzen freigegeben wird oder besonderen Auflagen unterliegt. In Kenia laufen einige Forschungsprojekte zu regional wichtigen Kulturpflanzen wie Sorghum (Hirse), Bananen oder Mais. Ziele sind Resistenzen gegen ortstypische Krankheiten und Schädlinge sowie eine verbesserte Dürretoleranz.

Und die EU? Seit dem denkwürdigen Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH), das pauschal alle genom-editierten Pflanzen den 25 Jahre alten Gentechnik-Vorschriften unterwirft, sind inzwischen mehr als vier Jahre vergangen. Nach langem Zögern hat die EU-Kommission inzwischen endlich einen mehrstufigen Beratungsprozess in Gang gesetzt mit dem Ziel, die Gentechnik-Gesetze „an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anzupassen“ und so „Innovationen in der Landwirtschaft zu ermöglichen“. Mitte 2023 will die Kommission ihren Vorschlag präsentieren. Dann folgen noch komplizierte, sicherlich kontroverse Beratungen in Parlament und Ministerrat. Es wird wohl noch Jahre dauern, bis die EU zu einem angemessenen Umgang mit genom-editierten Pflanzen kommt.

Viele Länder außerhalb der EU werden dann bereits viele Erfahrungen gewonnen haben, ob und wie ein einfacherer Umgang mit den neuen Züchtungstechniken Innovationen fördert und zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beitragen kann.

Länderübersicht:
(De-) Regulierung von genom-editierten Pflanzen (Stand: Februar 2023)

Europa (nicht-EU) England Einfache GE-Pflanzen sind von den GVO-Regeln ausgenommen. Für Freilandversuche sowie für kommerziellen Anbau und Vermarktung der Produkte sind jeweils Anmeldeverfahren vorgeschrieben. Relevante Informationen werden veröffentlicht.
Schweiz GE-Pflanzen sollen künftig nicht mehr unter GVO-Verbot fallen.
Norwegen Fallweise Regulierung für GE-Pflanzen in Vorbereitung.
Russland GE-Pflanzen sind konventionellen gleichgestellt. (Dekret des Präsidenten, 2019)
Nord- und Südamerika USA GE-Pflanzen sind konventionell gezüchteten Pflanzen gleichgesetzt.
Kanada GE-Pflanzen sind frei, sofern sie keine neuartigen Merkmale besitzen.
Brasilien, Argentinien, Chile, Equador, Kolumbien, Paraguay, Honduras, Guatemala GE-Pflanzen sind von den GVO-Regeln ausgenommen. Fallweise Überprüfung der Voraussetzungen.
Asien China Spezifische Regeln für die Zulassung von GE-Pflanzen.
Indien GE-Pflanzen sind von GVO-Regeln ausgenommen, wenn nachweislich transgen-frei.
Philippinen GE-Pflanzen sind von GVO-Regeln ausgenommen. Produkte werden nach Überprüfung zertifiziert.
Indonesien GE-Pflanzen sind von GVO-Regeln ausgenommen, wenn sie keine Fremd-DNA enthalten.
Japan GE-Pflanzen der Kategorie SDN-1 sind von GVO-Regeln ausgenommen. Registrierung erforderlich.
Südkorea GE-Pflanzen, in die kein Fremd-Gen eingefügt wurden, sind von GVO-Regeln ausgenommen. (vorläufige Regelung, 2021)
Afrika Nigeria, Kenia GE-Pflanzen sind von den GVO-Regeln ausgenommen. Fallweise Überprüfung der Voraussetzungen.
Australien Australien GE-Pflanzen der Kategorie SDN-1 sind von GVO-Regeln ausgenommen.

Als GE-Pflanzen werden in der Tabelle genom-editierte Pflanzen bezeichnet, die mit neuen Züchtungsverfahren der Kategorien SDN-1 und SDN-2 (Site-Directed Nuclease) entwickelt wurden.

SDN-1: Zunächst wird ein zielgerichteter Bruch des DNA-Doppelstrangs herbeigeführt. Bei der anschließender Reparatur der Bruchstelle sind zufällige Mutationen oder Sequenzverluste (Deletionen) möglich.

SDN-2: In die Zelle wird eine kleine DNA-Sequenz eingeführt, die der Zielsequenz bis auf die gewünschte Veränderung genau entspricht. Bei der Reparatur der Bruchstelle dient sie als Vorlage und wird in die Ziel-DNA eingefügt. Wie bei SDN-1 sind die damit erzeugten Pflanzen transgen-frei.

SDN-3: An der Bruchstelle werden neue Gene oder größere DNA-Sequenzen eingefügt. Solche Pflanzen werden weiterhin als GVO angesehen und den Gentechnik-Gesetzen unterworfen.

Tabelle nach: Buchholzer/Frommer (2022); Sprink et al (2022); siehe: Im Web

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