Ursula von der Leyen

Europas Green Deal: Weniger Chemie, mehr Biodiversität. Und was ist mit Genome Editing?

(12.12.2019) Das Ziel ist ambitioniert: 2050 soll die Europäische Union klimaneutral sein. So will es der europäische Green Deal, den die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen gerade vorgestellt hat. Auch die Landwirtschaft soll umweltfreundlicher werden. Doch konkrete Reduktionsziele für Pflanzenschutzmittel nennt der Plan in der offiziellen Fassung nicht mehr. Anders als erwartet fehlen auch Hinweise auf die neuen Züchtungsverfahren und ihre Potenziale für nachhaltige Landwirtschaft und mehr Biodiversität.

Ein paar Tage zuvor sah das noch anders aus: Die neue EU-Kommission wolle „den Gebrauch von chemischen Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln bis 2030 um 50 Prozent reduzieren“ und die „Anwendung neuer Gentechniken bei Pflanzen fördern, um die Nahrungsmittelproduktion an den Klimawandel anzupassen“, meldete der Nachrichtendienst dpa und viele Zeitungen übernahmen es.

Julia Klöckner BMEL

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner: „Ich setze auch auf mehr Offenheit und Fortschritte in der Pflanzenzucht für klima- und schädlingsresistente Pflanzen durch Gen-Scheren wie Crispr-Cas und eine differenziertere, liberalere Handhabung der Zulassung durch den europäischen Gesetzgeber und die europäischen Gerichte. Bei dieser Methode werden im Erbgut der Pflanze gezielt Veränderungen vorgenommen. Das ist etwas, was auch in der Natur vorkommt.“
Foto: BMEL Photothek/Heinl. (Bauerndemo Berlin 26.11.19)

CRISPR DNA

Kleine Korrekturen der Gentechnik-Gesetze: Genom-editierte Organismen sollten dann „vom Anwendungsbereich des Gentechnikrechts ausgenommen werden, wenn keine artfremde genetische Information eingefügt ist und/oder eine Kombination von genetischem Material vorliegt, die sich ebenso auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtungsverfahren ergeben könnte.“ (Gemeinsame Empfehlung der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina, der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG); 04. Dezember 2019)

Grafik: Catalin Rusnak, 123RF; großes Foto oben: Ursula von der Leyen vor dem Europäischen Parlament 27.11.19; (c) European Union Source: EP, Daina le Lardic

Zuvor hatte sich auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ähnlich geäußert. Sie teile die Haltung der EU-Kommission, dass neue Pflanzenzüchtungsmethoden dabei helfen könnten, den Chemieeinsatz in der Landwirtschaft zu verringern, sagte sie in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe.

Doch im letzten Moment verließ Ursula von der Leyen und den für das ehrgeizige Projekt zuständigen Vize-Kommissar Frans Timmermans der Mut. Offenbar wollten sie die bevorstehenden Beratungen im EU-Rat und Parlament nicht mit konkreten, aber politisch heiklen Vorgaben belasten. Statt klare Reduktionsziele zu nennen, belässt es der Green Deal bei Absichtserklärungen. Auch ein Absatz über Innovationen in der Landwirtschaft, „inklusive neuer Genom-Techniken“ wurde im letzten Moment abgeschwächt, berichtet das Magazin Euractiv. Bis zum Frühjahr 2020 soll die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (Farm to Fork) erarbeitet werden, mit der „der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln in der Landwirtschaft verringert werden soll.“ Auch eine „Biodiversitätsstrategie“ will die Kommission vorlegen.

Das ursprüngliche im Green Deal gesteckte Ziel – Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes bis 2030 – ist ambitioniert und in der breiten Öffentlichkeit durchaus populär. Denn „Pestizide“ gelten als Hauptschuldige am „Insektensterben“, an Artenrückgang und Umweltbelastungen. Doch ohne Pflanzenschutz keine Landwirtschaft: Wenn Nutzpflanzen nicht gegen Nahrungskonkurrenten, Schädlinge und Krankheiterreger geschützt werden, wenn sie nicht ausreichend Nährstoffe erhalten, dann ist keine ertragreiche Landwirtschaft möglich.

Auch die „natürliche“ Alternative, der ökologische Landbau, kommt nicht ohne Pflanzenschutzmittel aus. Die Liste der aktuell dafür zugelassenen Präparate und Wirkstoffe ist lang, darunter etwa das bienengefährliche Spinosad oder fischgiftige Pyrethrine. Bei Pilzkrankheiten - etwa Mehltau bei Getreide und Wein, Krautfäule bei Kartoffeln, Schorf bei Äpfeln - setzen Öko-Landwirte Kupferpräparate ein, die sich im Boden anreichern. Bei langjähriger Anwendung, so belegen es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, „wirken sie schädigend auf viele Arten von Bodenorganismen.“ Die „Biodiversität sinkt mit steigendem Kupfergehalt.“ (JKI)

„Nachhaltige Intensivierung“ – dieses Ziel hat der letzte Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) für die Landwirtschaft gesteckt. Weniger Düngemittel, weniger Spritzen ist schnell gefordert, doch wie können dennoch Erträge gesichert oder gar gesteigert werden, ohne mehr Flächen zu benötigen?

Wenn Pflanzenschutzmittel – gleich ob chemisch oder biologisch – nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen, muss ein grundsätzlicher Strategiewechsel her: Es sind in Zukunft nicht mehr Wirkstoffe, die von außen ausgebracht werden, sondern immer mehr die Pflanzen selbst, sie sich gegen Krankheiten und Schädlinge „verteidigen“.

Das ist im Kern nicht neu. Schon immer haben Züchter das Ziel verfolgt, Pflanzen widerstandsfähiger gegen ihre Feinde und Konkurrenten zu machen. Wenn es überhaupt gelang, ging dem ein langer komplexer Prozess voraus. Geeignete Resistenz-Gene im Genpool einer Kulturpflanze zu finden und sie dann in gängige, standortangepasste Sorten einzukreuzen, ohne andere erwünschte Eigenschaften zu verlieren, kann Jahrzehnte dauern. In einigen Fällen gibt es bis heute keine resistenten Sorten.

Allein mit klassischer Resistenzzüchtung – oder mehr Öko-Landbau, Digitalisierung sowie pflanzenbaulichen Verbesserungen – lassen sich die Ziele des Green Deal nicht erreichen. Das werden auch die Fachleute in der Kommission wissen.

Inzwischen gibt es neue molekularbiologische „Werkzeuge“, die gezielter, effizienter und vor allem schneller sind als herkömmliche Züchtung. Mit diesen Genome Editing–Verfahren – das bekannteste ist die „Gen-Schere“ CRISPR/Cas - können Nutzpflanzen besser gegen Krankheitserreger – Viren, Pilze, Bakterien – gewappnet werden.

So sind die molekularen Interaktionen zwischen Pflanzen und ihren „Feinden“ heute in vielen Fällen entschlüsselt und mit diesem Wissen ist es möglich, die betroffene Pflanze gezielt zu stärken - zulasten der Erreger. Oft reicht es aus, mit Hilfe von Genome Editing einzelne DNA-Bausteine im Erbgut der Pflanze „umzuschreiben“, um ihren Widersachern den Zugang zu den Pflanzenzellen zu versperren. In anderen Fällen können die Nutzpflanzen dazu gebracht werden, die Vermehrung eingedrungener Viren zu unterbinden.

Ein anderer Ansatz ist es, die natürliche „Immunantwort“ der Pflanzen zu verstärken. Man weiß inzwischen, dass Pflanzen nach einer Erstinfektion bestimmte Proteine bilden, mit denen die jeweiligen Erreger abgewehrt werden können. Bei einem erneuten Befall werden sie wieder aktiviert – jedoch oft verzögert. Wird die Bildung dieser Abwehrproteine etwa durch gezielte Mutationen an den Steuersignalen (Promotoren) verstärkt, setzt die Immunreaktion effektiver und schneller ein – die Pflanze kann die Infektion besser und mit weniger Ertragsausfällen überstehen.

Im Rahmen von Forschungsprojekten - einige weit fortgeschritten, aber noch nicht in der praktischen Züchtung – ist es bereits gelungen, etwa Reis, Tomaten, Gurken, Cassava, Kakao und Wein zu entwickeln, die sich aus eigener Kraft besser gegen krank machende Bakterien, Viren oder Pilze schützen können. Bei Bananen, Zitrusfrüchten, Kartoffeln, Gerste und vor allem Weizen eröffnen Genome Editing und andere Verfahren endlich eine realistische Perspektive, etwas gegen hartnäckige weltweit grassierende Krankheiten unternehmen zu können. In vielen Fällen ist es bereits gelungen, durch Änderungen weniger DNA-Bausteine wirksame Resistenzen in Kulturpflanzen „hineinzuschreiben“.

So populär das Ziel in der breiten Öffentlichkeit sein mag, weniger „Chemie“ auf die Äcker auszubringen, so umstritten sind die derzeit erfolgversprechendsten Mittel, es zu erreichen – vor allem die neuen Züchtungsverfahren. In der EU sind konkrete Anwendungen derzeit faktisch ausgeschlossen, da ihnen das Stigma „Gentechnik“ anhaftet. Hohe gesetzliche Auflagen und fehlende gesellschaftliche Akzeptanz bremsen sie aus.

Konkrete Vorschläge, die überholten Gentechnik-Vorschriften an den neuen Wissensstand anzupassen, liegen auf dem Tisch (Kasten links). Viel muss daran nicht geändert werden, um einfache genom-editierte Pflanzen, bei denen keine artfremden genetischen Informationen eingefügt wurden und die sich nicht von natürlichen Mutationen unterscheiden, ohne den Ballast teurer, für kleinere und mittlere Züchtungsunternehmen unerfüllbarer Auflagen nutzen zu können.

Doch ohne die Zustimmung des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten geht nichts. Der Kommission muss es gelingen, die politische Blockade zu überwinden, an der seit Jahren Entscheidungen besonders zur Gentechnik scheitern. Vielleicht war es denn doch keine so schlechte Idee, die nun beginnenden Beratungen nicht durch konkrete Vorgaben im Green Deal zu belasten. Denn die politischen Mehrheiten dafür müssen erst noch gewonnen werden: Gelingt das nicht, werden sich weder die Bedingungen für CRISPR & Co ändern, noch weitreichende Reduktionsziele bei Pflanzenschutzmitteln durchsetzen lassen.

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