Gentechnik und Saatgut: Grundsatzkonflikt um Schwellenwert
Seit zehn Jahren wird diskutiert und verhandelt. Doch noch immer gibt es in der EU keine verbindlichen Schwellenwerte für Beimischungen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in konventionellem Saatgut. Zwar betreiben die Hersteller großen Aufwand, um ihr Saatgut „gentechnik-frei“ auf den Markt zu bringen. Da es jedoch in der freien Natur vermehrt wird, ist das nicht mit absoluter Sicherheit möglich.
Schwellenwerte ziehen die Grenze zwischen einer bewussten Anwendung der Gentechnik und zufälligen, technischen unvermeidbaren GVO-Beimischungen, die ohne Kennzeichnung zu tolerieren sind. Für Lebens- und Futtermittel ist der Schwellenwert auf 0,9 Prozent festgelegt - mit breiter Zustimmung des EU-Parlaments und der Mehrheit der Mitgliedsstaaten. Dieser Schwellenwert gilt nur für GVO, die in der EU zugelassen und damit als unbedenklich eingestuft sind.
- In der EU gibt es bisher keine einheitliche Regelungen. Vor einigen Jahren hatte die EU-Kommission Schwellenwerte je nach Pflanzenart zwischen 0,3 und 0,7 Prozent vorgeschlagen.
- In Deutschland praktizieren Behörden eine „Nulltoleranz“: Jeder GVO-Nachweis hat - unabhängig von seiner Höhe - zur Folge, dass die betreffenden Saatgutpartien nicht in den Handel kommen.
- Unterhalb der technischen Nachweisgrenze von 0,1 Prozent liefern GVO-Analysen keine zuverlässigen, reproduzierbaren Ergebnisse.
Für Saatgut sind bisher keine verbindlichen GVO-Schwellenwerte festgelegt. Züchtungsunternehmen beklagen deswegen mangelnde Rechtssicherheit. Lange Zeit reagierten Behörden in Deutschland unterschiedlich, wenn in Saatgutproben geringfügige GVO-Spuren gemessen wurden. Inzwischen ist es die Regel, das betroffene Saatgut vom Markt zu nehmen. Seit einigen Jahren untersuchen die Überwachungsbehörden der Bundesländer Saatgutproben bereits vor der Aussaat. Im Falle GVO-positiver Ergebnisse kommt die betreffenden Saatgutpartien erst gar nicht in den Handel.
In anderen EU-Ländern werden geringfügige GVO-Beimischungen dagegen toleriert. Selbst in Österreich, das sich als Vorreiter im Kampf gegen die Gentechnik in Europa sieht, werden „zufällige, technisch unvermeidbare“ GVO-Verunreinigungen im Saatgut bis 0,1 Prozent geduldet.
Nulltoleranz, technische Nachweisgrenze oder praktikable Schwellenwerte - Der Kampf ums Saatgut
Schon seit Jahren wird über GVO-Schwellenwerte im Saatgut ein erbitterter Grundsatzstreit geführt. Bisher sind alle Versuche gescheitet, auf europäischer Ebene zu einer politischen Entscheidung zu kommen.
- Die EU-Kommission hat verschiedene Anläufe zur Festlegung von Saatgut-Schwellenwerten gemacht. Sie sollten so bemessen sein, dass die mit dem Saatgut erzeugten Ernteprodukte im Regelfall deutlich unter der 0,9 Prozent-Schwelle für GVO-Beimischungen in Lebens- und Futtermitteln bleiben. Vorgeschlagen wurden nach Pflanzenarten differenzierte Saatgutschwellenwerte, etwa 0,3 Prozent für Raps oder 0,5 Prozent für Zuckerrüben, Mais und Kartoffeln.
- Gentechnik-Kritiker lehnen zulässige GVO-Beimischungen im Saatgut grundsätzlich ab. Sie sehen darin eine versteckte Erlaubnis, gentechnisch veränderte Pflanzen in die Umwelt freizusetzen. Für sie ist „reines“ Saatgut ohne jede GVO-Bemischung Grundvoraussetzung, um auch in Zukunft konsequent „gentechnik-frei“ produzieren und konsumieren zu können.
- Ende Februar 2012 entscheid das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass jede GVO-Beimischung im Saatgut grundsätzlich als nicht erlaubte Freisetzung anzusehen ist. Betroffene Felder müssen untergepflügt werden. Das gilt auch, wenn der gemessene GVO-Anteil unterhalb der Nachweisgrenze von 0,1 Prozent liegt.
Saatgut-Vermehrung in der Natur: Die Illusion der absoluten Reinheit
Die europäischen Pflanzenzüchter und der Bund deutscher Pflanzenzüchter (BDP) sprechen sich mit Nachdruck für „praktikable Schwellenwerte“ aus. Sie verweisen darauf, dass Saatgut nicht im abgeschlossenen System eines Labors vermehrt wird, sondern in der freien Natur. Sie ist ein offenes System, in dem absolute Sortenreinheit selbst bei einem hohen technischen Aufwand nicht möglich ist.
Auch wenn Saatgut in Regionen vermehrt wird, wo es keinen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen gibt, ist nicht hundertprozentig auszuschließen, dass minimale GVO-Anteile zufällig in konventionelles Saatgut gelangen.
Aus eigenem Interesse betreiben viele Züchtungsunternehmen großen Aufwand, um GVO-Einträge in ihrem Saatgut zu vermeiden. Zusätzlich führen sie besondere Qualitätskontrolle durch. Damit gelingt es zwar, das Saatgut weitgehend „GVO-rein“ zu halten. Doch je mehr gv-Pflanzen in einer Region angebaut werden und je strenger der Schwellenwert in Europa ist, um so kostspieliger werden Erzeugung und Kontrolle des Saatguts.
Die EU führt einen großen Teil ihres Saatguts aus Drittländern ein, in denen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Bei Mais beträgt der Anteil des Import-Saatguts etwa 33 Prozent. Schon aus klimatischen Gründen ist es nicht möglich, Saatgut ausschließlich in der EU zu vermehren.
Themen
Saatgut: Die gemachten Skandale. Mehrfach gerieten GVO-Beimischungen im Saatgut in die Schlagzeilen. Dabei setzte sich die juristische Sichtweise immer mehr durch, nach der grundsätzlich jede nicht genehmigte Ausbringung eines GVO als Gesetzesverstoß zu werten sei. Die biologische Auffassung, dass es in der Natur keine absolute Reinheit geben könne, blieb dabei auf der Strecke.