Mit alten Gentechnik-Ängsten gegen neue Genome Editing-Verfahren
(22.11.2017) Noch ist in der EU nicht geklärt, ob die neuen Genome Editing-Verfahren (CRISPR/Cas & Co) besonders reguliert werden müssen. Doch je näher die Entscheidung rückt, umso vehementer fordern Gentechnik-kritische Organisationen strenge Vorschriften – und damit De-facto-Verbote. Sie greifen dabei überwiegend auf alte, seit 25 Jahren nahezu unverändert wiederholte Einwände zurück. Dabei spielen auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle.
Das BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und weitere öffentliche Forschungsinstitute haben einen Wissenschaftlichen Bericht zu den neuen Techniken in der Pflanzenzüchtung und der Tierzucht vorgelegt. Dort werden die einzelnen Genome Editing-Verfahren mit ihren Varianten beschrieben und der Stand der Anwendung im Bereich Ernährung und Landwirtschaft dargestellt. Dort geht es auch um mögliche Risiken und unbeabichtigte Nebeneffekte sowie um Nachweismöglichkeiten. (Link: Im Web)
Großes Foto oben: Black Valley Films / Abramorama (Food Evolution)
Bisher wird Genome Editing in erster Linie als neues Werkzeug in der Pflanzenforschung und –züchtung eingesetzt. Gerade ist eine wissenschaftliche Studien erschienen, die 42 Publikationen zu aktuellen CRISPR-Projekten bei Pflanzen auswertet. Zwar sind noch keine Produkte auf dem Markt, doch immer deutlicher zeigt sich, dass die neuen Verfahren das große Ziel einer Ressourcen schonenden Landwirtschaft („mehr aus weniger“) befördern.
Neue biologische Konzepte gegen Pflanzenkrankheiten und Schädlinge, weniger Chemie, Dünger oder Wasser, mehr Ertrag ohne mehr Flächen zu verbrauchen – ob sich das in der Praxis tatsächlich realisieren lassen wird, muss sich im Laufe der weiteren Forschung und Entwicklung zeigen. Doch erste Tests mit Pflanzen im Gewächshaus und teils schon im Freiland sind vielversprechend - und es gibt keine stichhaltigen Gründe, von vorneherein allein aus politischen Gründen auf das große Potenzial der neuen Verfahren zu verzichten.
Genau darauf zielen aber Kampagnen von NGOs und anderen gentechnik-kritischen Organisationen. Sie wollen CRIPSR und andere Editing-Verfahren nicht nur mit der „alten“ Gentechnik in einen Topf werfen, sondern ihnen auch deren Negativ-Image – unnütz, riskant, unnatürlich - anheften.
Dabei unterscheiden sich die neuen Verfahren grundsätzlich von der herkömmlichen Gentechnik: Bei ihr ist es nicht steuerbar, wo – und wie oft - ein neu eingeführtes Gen im Genom integriert wird. Deswegen muss für gv-Pflanzen vor einer Zulassung erst deren Sicherheit nachgewiesen werden. Beim Genome Editing ist das anders: An einer ganz bestimmten, vorgegebenen Stelle im Genom wird eine Mutation herbeigeführt. Hier passiert genau das, was sich auch bei natürlichen Mutationen oder der Mutationszüchtung durch erbgutverändernde Strahlen oder Chemikalien ereignet. Der entscheidende Unterschied beim Genome Editing: Es geschieht nicht zufällig, ungesteuert und in großer Zahl, sondern gezielt und präzise. Und das heißt auch: Mit weniger ungewollten Nebenwirkungen. Solche nicht geplanten Mutationen (off target-Effekte) sind zwar auch beim Genome Editing möglich, sind aber sehr selten – viel seltener als bei jedem anderen Züchtungsverfahren - und relativ einfach aufzuspüren.
Doch dieser Quantensprung interessiert die Kritiker nicht. Wie schon vor 25 Jahren beschwören sie auch jetzt „unvorhersehbare Risiken“ und „ungewollte Nebeneffekte“. Auch wenn Wissen und Erfahrung seitdem enorm gewachsen sind – noch immer fordern sie Verbote und berufen sich dabei auf das Vorsorgeprinzip. „Keine Gentechnik durch die Hintertür“ - als ob Genome Editing nur ein Trick der großen Agrokonzerne sei, Landwirten und Konsumenten die ungeliebte Gentechnik heimlich doch noch unterzuschieben.
Mehrere Umwelt- und Ökoverbände haben in einem Brief an Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) gefordert, genom-editierte Pflanzen genauso streng zu regulieren wie gentechnisch veränderte. Das hätte nicht nur aufwändige Zulassungsverfahren zur Folge, sondern die Produkte müssten auch gekennzeichnet werden. „In Europa wären solche Produkte damit unverkäuflich“, freut sich das Münchener Umweltinstitut.
Nicht nur solche seit langem aktive Gruppen, sondern auch die Bio-Branche haben ein – nicht zuletzt ökonomisches - Interesse daran, dass ihnen die Gentechnik als negativ aufgeladenes Symbol erhalten bleibt, auch wenn es solche Produkte nirgendwo zu kaufen gibt und der Anbau von gv-Pflanzen in den meisten EU-Ländern verboten ist. Ob Spendenkampagnen, „Ohne Gentechnik“- Lebensmittel oder „gutes“, grünes Image: Man braucht die „böse“ Gentechnik, um sich umso besser positiv profilieren zu können.
Deswegen will auch der Ökologische Landbau Genome Editing wie Gentechnik reguliert wissen - obwohl es intern auch differenzierte Positionen gibt. Der Öko-Lebensmittelkonzern Rapunzel hat gerade die Aktion „Ich steh auf Essen ohne Gentechnik“ gestartet, sammelt Unterschriften dafür, dass Genome Editing-Methoden „offiziell reguliert und eindeutig gekennzeichnet werden“. Und beim „Europäischen Netzwerk der gentechnik-freien Regionen“, wo gerade Hessen den Vorsitz übernommen hat, „steht die Auseinandersetzung mit den neuen Gentechnikverfahren, ganz oben auf der Tagesordnung“. Das Ergebnis steht schon fest: Die Einstufung als „Gentechnik“.
Wenn es so käme, hätten Genome-Editing- Produkte zumindest in Europa keine Chance. Kein Unternehmen würde es wagen, solche Produkte auf den Markt zu bringen – abgesehen von den gigantischen Kosten für die Zulassungsverfahren, die sich nur große Konzerne bei umsatzstarken Pflanzen für den Weltmarkt leisten können. Und wenn das Meinungsklima so bleibt, würden politische Anbauverbote folgen.
Umweltorganisationen und Öko-Verbände wissen, dass sie mit ihren Kampagnen nicht nur alte, längst überholte Gentechnik-Ängste weiter schüren, sondern jede praktische Anwendung des Genome Editings verhindern. Die Chancen, damit besser – und sicherer – Pflanzensorten zu züchten, die weniger Ressourcen verbrauchen und weniger Pflanzenschutzmittel benötigen, blieben ungenutzt.
Aber die Anti-Genome Editing-Allianz hat leichtes Spiel: Etwa 90 bis 95 Prozent der Deutschen haben noch nie etwas von CRISPR/Cas oder Genome Editing gehört und wissen nicht, was sich dahinter verbirgt – so eine aktuelle Fokusgruppen-Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und ähnlich ein Umfrage des YouGov-Instituts. Doch trotz aller Unkenntnis – die meisten Befragten haben schon jetzt eine klare Meinung: Es ist „Gentechnik“ und deswegen ungesund und unnatürlich.
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Themen
Im Web
- Wissenschaftlicher Bericht zu den neuen Techniken in der Pflanzenzüchtung und der Tierzucht und ihren Verwendungen im Bereich der Ernährung und Landwirtschaft, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und weitere
- Scientific Advice Mechanism, New techniques in agricultural biotechnology
- High-Level Conference: Modern Biotechnologies in Agriculture – Paving the way for responsible innovation, 28 September 2017, Brussels
- Use of CRISPR systems in plant genome editing: toward new opportunities in agriculture; Agnès Ricroch, Pauline Clairand, Wendy Harwood; Emerging Topics in Life Sciences Nov 10, 2017
- Risikowahrnehmung von Genome Editing: Vorbehalte und großes Informationsbedürfnis vorhanden (BfR)
Im Web: Gentechnik-kritische Organisationen
- Verbändebrief an Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt: Kriterien zur rechtlichen Regulierung der Neuen Gentechnik-Verfahren (BÖLW, AbL, BUND, GeN, Bioland IG Saatgut, Demeter)
- Hessen übernimmt Präsidentschaft des Europäischen Netzwerks gentechnikfreier Regionen, Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (18.10.2017)
- Umweltinstitut München, Neue Manipulations-Methoden
- Rapunzel, FOODprint - Ich stehe auf Essen ohne Gentechnik
- Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG): Neue Gentechnik-Verfahren
- ENSSER, Products of new GM techniques should be strictly regulated as GMOs; Press Release